Madame Fabienne
1
Jean Claude Lang saß an seinem Schreibtisch und tippte gerade am Computer, als das Telefon anfing zu klingeln. Auf dem Display konnte er gleich sehen, dass ihn jemand aus dem Werk anrief, aber die Nummer war ihm fremd. Hoffentlich gab es jetzt keine Probleme mehr.
Er hob ab, "Lang, guten Tag."
"Sicherheitsdienst, Bikem Taschkan... Der Chef würde Sie gerne mal sprechen, haben Sie jetzt Zeit?"
Der Chef vom Sicherheitsdienst: Was wollte der denn von ihm? Er musste sich räuspern, "Mich?! Sind Sie sicher?"
"Natürlich, Herr Vacaro würde sich gerne mal mit Ihnen unterhalten. Kommen Sie vorbei?"
"Äh, kein Problem. Ich... bin schon unterwegs. Um was geht es denn eigentlich?"
"Das besprechen wir, wenn Sie hier sind. Sie wissen ja, im achten Stock. Bis gleich."
Er wollte noch was sagen, aber da hatte sie schon die Verbindung unterbrochen.
Einen Moment saß er nur so da und starrte auf eine Stelle an der Wand: Dieser Bikem Taschkan war er schon begegnet, und wenn er sich jetzt recht erinnerte, war sie beim Sicherheitsdienst die stellvertretende Chefin. In der Kantine hatte er auch mal gehört, wie die anderen Männer aus der Export-Abteilung über sie gelästert hatten. Sie könne gut Karate und habe immer ne Knarre bei sich, hatte es geheißen. Aber was da alles erzählt wurde, musste lange noch nicht stimmen, das war doch nur Klatsch.
Er beobachtete nun seine Kollegen, aber die waren mit ihrem eigenen Kram beschäftigt. Im Großraumbüro herrschte die übliche Hektik. So wie es aussah, war er der einzige, der einen solchen Anruf bekommen hatte. Sonderbar, oder? Das hieß bestimmt nichts Gutes. Was sollte er jetzt machen? Es hatte keinen Wert, noch länger zu warten. Er schlüpfte also in sein Jackett und ging nach draußen auf den Flur.
Warum wollte man wohl mit ihm sprechen? Am Telefon hatte die Stimme dieser Bikem freundlich geklungen, aber es musste trotzdem etwas sein, was dringend war. Ob es an dieser Sendung nach Bordeaux lag? Dass mit dieser Kiste irgendwas nicht stimmte, hatte er doch gleich geahnt. Wie hoch war noch mal der Wert gewesen, den man in den Frachtpapieren angeben hatte? Waren es 23.000 Euro gewesen? Vielleicht sollte er wieder zurück an seinen Platz gehen und sich den Vorgang noch mal ansehen, dann wäre er wenigstens vorbereitet und könnte sich auch besser verteidigen, falls nötig.
Nein, das würde jetzt zu lange dauern.
Wahrscheinlich war die Kiste nur beschädigt angekommen oder vielleicht noch schlimmer— das Teil war unterwegs verschwunden. Aber sonst gingen Beschwerden dieser Art erst mal an die Export-Abteilung, und warum sollte es jetzt anders sein? Sonderbar.
Er nahm den Fahrstuhl nach oben, und da er in der Kabine allein war, betrachtete er sich auf der Spiegelwand: Seine Haut hatte die Farbe von Kaffee, in den man Milch getan hatte. Sein Schnurrbart war schmal und sah elegant aus, genauso wie er es haben wollte. Er schloss noch die Knöpfe an seinem karierten Jackett, ließ bei dem weißen Hemd aber den Kragen offen stehen. Seine Hose war gebügelt, und die Halbschuhe glänzten.
Es war alles in Ordnung.
Im achten Stock glitten die beiden Flügel der Metalltür zur Seite, und Jean Claude folgte dem Flur, in dem sich links und rechts Büros befanden. Manchmal stand eine der dunkelbraunen Türen offen, und man konnte so in die Räume schauen: Es waren nur noch wenige Mitarbeiter anwesend, wahrscheinlich hatten die anderen schon Feierabend gemacht.
Hier oben war er erst einmal gewesen, und diesen Luigi Vacaro kannte er eigentlich gar nicht, aber die Kollegen hatten schon einiges beim Mittagessen über ihn erzählt. Der Mann sei ein harter Brocken, und man gehe ihm besser aus dem Weg, hatte es geheißen.
Jean Claude kam nun zu den Büros, die zum Sicherheitsdienst gehörten. Er ging zu einer offenen Tür und blieb auf der Schwelle stehen. Dahinter befand sich ein Raum mit weißen Steinwänden und Metall-Regalen, die voll waren mit Akten. Außerdem gab es noch zwei Stahlschränke und einige Spinde, die man mit schweren Vorhänge-Schlössern gesichert hatte. Bei den Fenstern waren die Jalousien nach oben gezogen, und so konnte man nach draußen aufs Werksgelände schauen.
Bikem Taschkan saß an ihrem Schreibtisch und telefonierte. Sie sprach auf Türkisch und sah dabei auf einen ihrer beiden Flachbildschirme. Rechts von ihr befand sich eine lange Reihe von Monitoren: Einige waren ausgeschaltet, andere zeigten Bilder in Schwarzweiß, so zum Beispiel den Flur oder den
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