Die wilde Gärtnerin - Roman
vorstellen, wie oft wir den Garten ausräuchern mussten. Diese fürchterlich negativen Schwingungen von dem Überfall, die waren hartnäckig. Entsetzlich. Ohne Reinigungszeremonie wären wir die nie losgeworden. Dermaßen bedrückend!« Toni hielt ihre Hand an ihr Brustbein, als könnte sie das belastende Gefühl dort noch immer wahrnehmen.
»Und woher stammen die Hühner?«
»Also ich glaub, ähm, die hat eine Wiener Bäuerin vorbeigebracht. Aber so genau weiß ich das gar nicht mehr, weil da war einiges los nach der Verhaftung. Deine ungerechtfertigte Gefangenschaft hat ordentlich Aufsehen erregt. Na ja, ich hab meinen Blog weitergeschrieben, der wurde von immer mehr Leuten gelesen und viele davon wollten sich mit dir solidarisch erklären. Und dann sind sie eben ins Haus gekommen. Es war ja so schwierig, dich zu besuchen, also sind sie hierher, um ihren Beitrag zu leisten. Energiearbeit und so. Roland sagt ›Schenkökonomie‹ dazu. Die haben dir alle über deinen Garten Kraft gespendet.«
Helen schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. »Toni, du esoterisches Hendl, du gibst echt nie auf, oder?«
»Aufgeben? Wieso aufgeben? Ohne unsere gemeinsame Dynamik hättest du die Gefangenschaft nie überstanden. Das ist dir doch klar. Na und dein Garten hat uns genauso gebraucht. Schau ihn dir an! Er strotzt vor Kraft und Energie.« Helen war froh über Tonis ungebrochene Leidenschaft, schüttelte aber trotzdem den Kopf. »
Aufgeben?
Wo gibt’s denn so was? Helen, wir fangen jetzt erst richtig an! Nach dem Überfall auf unser Fest hab ich gedacht, der ganze Aufwand und alle Vorbereitungen wären umsonst gewesen. Aber das war der notwendige
Auftakt
. Dadurch haben Menschen zueinander gefunden, die weitere Projekte miteinander entwickeln. Hast du die Lerchengasse gesehen? Unsere
Straße für Menschen
. Ist kaum wiederzuerkennen, oder? Das war eine Initiative der Hausgemeinschaft. Wir haben uns mit den Anrainerinnen zusammengetan, konnten die Bezirksvorsteherin überzeugen und jetzt haben wir die erste mobil-begrünte Wohnstraße im Achten.«
Helen spürte, wie sehr sie Toni im Stumpfsinn des Gefängnisalltags vermisst hatte. »Und warum hast du mir diese gesellschaftlichen Umwälzungen nicht eher verraten? Zum Beispiel bei einem deiner Besuche? Glaubst du nicht, dass mir das genauso Kraft gespendet hätte?«
»Na ja«, druckste Toni herum. »Ich wollte erst einmal alles geschehen lassen, verstehst du? Zulassen und schauen, was sich daraus ergibt. Ich hab befürchtet, du wärst noch nicht so weit und würdest alles abblocken und im Keim ersticken.«
»Toni, wie hätte ich von meiner Zelle aus irgendwas ersticken können?«
»Mental, meine ich natürlich. Mental, so wie immer!« Toni schnaufte. Eigentlich wollte sie deeskalieren, den schönen Moment nicht durch Vorwürfe oder Streitigkeiten zerstören. »Helen, vielleicht kannst du es jetzt noch nicht annehmen, aber dein Haus war für dich wie eine Burg, es hat dich richtig eingeengt. Verstehst du? Du musstest ein wenig von deinem Besitz befreit werden. Ich meine, es ist noch immer
dein
Haus und
dein
Garten, aber mittlerweile ist es mehr zum Gemeinwohl geworden.« Toni schaute gequält, mit einem Klecks Hoffnung, dass Helen doch noch zur Einsicht und zur Besserung gelangen würde. »Sieh’s mal so, das ist die gute Seite an deiner Verhaftung und all dem. Du hast gelernt, dich zu öffnen.«
Helen schaute erstaunt. »Ach so, hab ich das?«
»Selbstverständlich! Du musstest gezwungenermaßen dein Eigentum aus deiner Verantwortung entlassen und siehe da, es ist gut gegangen. Liebevolle, umsichtige Menschen haben die Aufgabe übernommen. Du wirst sehen, nach und nach wirst du dein Vertrauen zurückgewinnen.«
Helen wusste nicht, auf welchem unlängst besuchten Seminar Toni diese Vertrauens-Sache gelernt hatte, aber sie war von den Ereignissen zu angeschlagen, um zu widersprechen. »Na, wenn du meinst«, sagte sie, stand auf, packte ihre Freundin an der Hand und zog sie mit sich hoch. »Weißt du, was? Ich brauch jetzt ganz schnell eine heiße Schokolade, sonst ist jede Öffnung völlig ausgeschlossen und an irgendein Vertrauen nicht zu denken.«
Toni grinste, bis sich kleine Fältchen um ihre Augen bildeten, was ihrem Schneewittchen-Gesicht keinen Abbruch tat. Sie streichelte nebenbei über ihren Bauch, wie schwangere Frauen das zu tun pflegen.
»Oh«, sagte Helen, die sah, dass sich eine Halbkugel unter Tonis Mantel vorwölbte. »Und wer hat dieses Geschenk
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