Die wilde Jagd - Roman
kannte keine Grenzen. »Ich mag nichts, was den anderen Sprecherinnen den Magen umdrehen könnte!«, fuhr sie ihn an. »Die Clans sind schon seit fast einem ganzen Tag versammelt. Das ist keine gute Art und Weise, die Unterstützung der anderen Häuptlinge zu gewinnen.«
Drwyn deutete mit dem Kopf auf den Speer in ihren Händen. »Ist er das? Der Speer des Kriegshäuptlings?«
Du Schwachsinniger! »Nein. Gwlachs Speer ging zusammen mit ihm schon vor Jahrhunderten verloren. Ich habe diesen hier während des Winters aus demselben Holz herstellen lassen, aus dem die Stäbe der Sprecherinnen bestehen.«
Sie streckte ihm den Speer entgegen, und er ergriff ihn und untersuchte ihn von dem mit Runen bedeckten Schaft bis zu dem schimmernden Bronzekopf, in den verwickelte Muster eingraviert waren. Er betastete die Spitze, und seine Hand zuckte zurück, als er sich geschnitten hatte. »Sie ist scharf.«
Ytha unterdrückte ein Grinsen. Das geschieht diesem Welpen recht .
»Natürlich. Was sollte ein stumpfer Speer nützen?« Sie verschränkte die Arme vor der Hüfte. »Weißholz hält von allen Holzarten den Zauber am besten, und in den Runen liegt ein Schutz für den Besitzer. Solange du diesen Speer bei dir trägst, kann dir nichts zustoßen.«
Er fuhr die tief eingeritzten Symbole mit der Fingerspitze nach. »Magie?«
»Gewissermaßen. Sie kann einen Stich, der eigentlich tödlich ist, in einen verwandeln, der nur verwundet, und sie kann eine Wunde zu einem bloßen Kratzer machen. Das reicht aus, um dir in der Schlacht das Leben zu retten, aber diese Magie ist nicht in der Lage, einen Schlag oder Stoß vollkommen abzuwenden.«
Was für eine Arbeit das gewesen war! Sie hatte die Runen persönlich geschnitzt und dafür ihr Messer aus Himmelseisen im klaren Licht des abnehmenden Silbermondes benutzt. Sie hatte die weißen Schnüre mit den heiligen Knoten gebunden und in jeden Einzelnen von ihnen die Macht hineingewoben. Nun konnte sie nur hoffen, dass all diese Mühen nicht umsonst gewesen waren.
»Du kannst nicht zum Häuptling der Häuptlinge werden, solange du von den anderen Clans nicht bestätigt worden bist«, sagte sie sanft und leise.
Sie packte den Schaft und hielt den Speer still. »Hör mir zu, Drwyn.«
Er schaute auf. »Also gut, Ytha. Eine Stunde.«
»Eirdubh und die anderen werden ungeduldig.«
»Eine Stunde«, wiederholte er und wollte ihr den Speer entreißen. Doch sofort rief sie ihre Magie herbei, festigte ihren Griff, und so sehr Drwyn auch an der Waffe ziehen mochte, konnte er sie ihr nicht mehr abnehmen.
Er sah sie böse an – wie ein Kind, dem das Lieblingsspielzeug vorenthalten wird.
»Der gehört dir noch nicht.« Sie sah ihn an und hielt den Speerschaft fest, bis er die Waffe losließ. »Wenn dir die anderen die Treue geschworen haben, gehört er rechtmäßig dir, aber jetzt hast du noch keinen Anspruch auf ihn.«
Mürrisch verzog er die Lippen, aber er nickte. Gut. Es war immer bitter, den eigenen Stolz zu unterdrücken, aber wenn sein Sieg kam, würde er so süß sein, dass er jeden anderen Geschmack überlagerte. Süß genug für sie beide.
»Ich werde die Häuptlinge in einer Stunde treffen«, sagte er.
Ytha lächelte. »Dann werde ich dich jetzt deinem Bad überlassen.«
Sie neigte den Kopf und ging zum Zelteingang. Dabei hielt sie den Speer in den Armen wie ein Baby.
Als sie bei der Zeltklappe angekommen war, brachte seine Stimme sie dazu stehen zu bleiben. »Das Mädchen. Teia.«
Sie drehte sich halb um. »Was ist mit ihr?«
»Du hast mir versprochen, dass sie mir einen Erben schenkt.«
Ytha betrachtete sein Gesicht. Das schwarze Haar und den Bart hatte er von seinem Vater, aber das trotzig vorgestreckte Kinn war sein eigenes. War es nur das Verlangen nach einem Sohn, das ihn antrieb? Nein, er hatte seitdem mehr als genug junge Bäuche mit seinem Samen gefüllt. Ging es um das Mädchen selbst? Sie hatte ihn nicht für fähig gehalten, ein dauerhaftes Band zu einem anderen Menschen zu knüpfen.
»Du musst sie vergessen, Drwyn.«
Seine dunklen Augen brannten. »Auch das, was sie unter dem Herzen trägt?«
»Sie war nie ein Teil unserer Pläne, genauso wenig wie ihr Kind. Sie geht uns nichts mehr an. Soll der Winter sie doch zu sich holen!«
Er biss die Zähne zusammen, konnte seinen Zorn einfach nicht herunterschlucken. »Und was ist, wenn sie einen Sohn zur Welt bringt? Meinen Sohn?«
»Falls sie überhaupt einen Sohn bekommt. Und falls sie den Schnee überlebt. Das
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