Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
gedämpft sprach, klang seine Stimme laut, weil keine Musik mehr zu hören war. Weil überhaupt nichts mehr zu hören war, wie Tanith bemerkte. Sie stieg ab und betrachtete die Bäume, von denen die Lichtung umringt war. Keine Feder regte sich zwischen ihren Zweigen. Auf der Lichtung war es still wie in einer mitternächtlichen Kapelle.
    »Wie weit sind wir gekommen?«, fragte Ailric, als der Waldbewohner ihre Pferde wegführte.
    »Ich habe keine Ahnung. Die Zeit vergeht anders im Wildniswald. Du musst Owyn fragen.«
    Er gab einen unverbindlichen Laut von sich und senkte die Stimme. »Ich glaube, ich bin ihm gleichgültig. Bist du sicher, dass man ihm vertrauen kann?«
    »Sei nett zu ihm«, tadelte sie ihn. »Er hat zugestimmt, uns zu führen, und bisher hat er uns keinen Grund zu der Annahme gegeben, dass er nicht ehrenwert ist. Denk nicht so schlecht über Fremde, Ailric.«
    Ein Zeichen auf der Oberfläche des ersten Megalithen erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie bückte sich und betrachtete es. Jahrhunderte von Wind und Wetter sowie ein Überzug aus grauen und goldenen Flechten hatten es beinahe verdeckt, doch je genauer sie hinsah, desto deutlicher erkannte sie es. Die gesamte Oberfläche des Steins war mit eingemeißelten Symbolen, Spiralen und verwickelten knotenähnlichen Mustern bedeckt, die kaum mehr von der Körnung des Steins zu unterscheiden waren.
    »Siehst du diese Zeichen?«, fragte sie.
    Ailric spähte über ihre Schulter. »Ist das so etwas wie eine Sprache?«
    Sie fuhr eine der fließenden Linien mit den Fingerspitzen nach. »Ich bin mir nicht sicher. Ich kann sie nicht deuten, aber irgendwas sagt mir, dass es nicht bloß Verzierungen sind.«
    Sie war sich sicher, dass diese Symbole eine bestimmte Bedeutung besaßen. Wer immer sie eingemeißelt hatte, hatte beabsichtigt, dass sie fortdauerten, also mussten sie eine wichtige Botschaft beinhalten. Eine Warnung vielleicht? Oder waren es Meilensteine wie die entlang der kaiserlichen Straßen, die die Entfernung zur nächsten Stadt anzeigten?
    Auf der anderen Seite der Lichtung hatte Owyn die Pferde an den Fesseln zusammengebunden und richtete sich auf. »Bitte, ihr müsst euch ausruhen«, sagte er. »Zündet an diesem Ort kein Feuer an und verlasst die Lichtung nicht. Ich hole Wasser für die Tiere und werde bald zurück sein.«
    Bevor Tanith ihn nach den Megalithen fragen konnte, war er schon zwischen den Bäumen verschwunden. Die Stille senkte sich hinter ihm herab wie ein schwerer Vorhang.
    In anderen Wäldern war es selten so still. Immer raschelte es, oder ein Vogel zwitscherte, doch auf dieser seltsamen Lichtung waren sie und Ailric die einzigen Kreaturen, die sich regten. Nicht einmal ein Beißling flog herum. Um sich von der beunruhigenden Stille abzulenken, legte Tanith ihren Schlafsack aus, dann fütterte sie die Pferde und holte einige Vorräte aus den Satteltaschen. Als sie zurückkehrte, hatte Ailric sein eigenes Lager dicht neben dem ihren bereitet, aber nicht so nah, dass sie sich gezwungen sah, ihres zu verlegen. Nach einem kalten Mahl, das sie mit Wasser aus ihren Feldflaschen herunterspülten, legten sie sich schlafen.
    Noch immer war es ungeheuer still, und es regte sich kein Wind, obwohl die Mitte der Lichtung unter dem offenen Himmel lag. Gereizt trat Ailric seine Decke beiseite. »Zu warm für den Frühling«, brummte er, legte sich wieder hin, setzte sich eine Minute später erneut auf und schüttelte seine Jacke ab. »Zu warm für Leder!«
    Tanith verbarg ein Grinsen, faltete ihre eigene Decke zusammen und schob sie sich unter den Kopf, dann legte sie sich auf den Rücken und beobachtete, wie die ersten Sterne in dem tiefen Blau erschienen. Nach ihrer Berechnung würde Lumiel bald aufgehen, auch wenn sie vermutete, dass sie wegen des dichten Waldes den zweiten Mond erst sehen konnte, wenn er hoch am Himmel stand. Die Bäume verdeckten anscheinend sogar das Abendlicht. Miriel sollte drüben im Westen unter dem Drachen stehen. Doch das Sternbild des Drachen war nicht zu sehen.
    Beunruhigt richtete sie sich auf. »Ailric, schau dir die Sterne an.«
    Er seufzte und drehte sich um; sein Hemd leuchtete hell wie Silber in der Dunkelheit. »Ja. Sehr schön.«
    Tanith klopfte ihm auf die Schulter. »Sie sind falsch!« Sie deutete nach oben. »Kein Drache. Kein Jäger. Das da könnte Amarada sein, aber es sieht irgendwie verzerrt aus. Wo sind wir?«
    Ailric stand auf, ging in die Mitte der Lichtung und stellte sich neben die Megalithen. Er

Weitere Kostenlose Bücher