Die wilde Jagd - Roman
Gewalt ist abgeebbt, aber viele Ladenbesitzer haben ihre Handelsbeziehungen verloren, und auch wir leiden darunter.« Sie zuckte die Achseln. »Ich bin sicher, du kennst so etwas. Die Menschen haben Angst.«
»Könnt ihr nicht ebenfalls in die Enklave gehen?« Es war zwar ein Gefängnis, aber wenigstens wären sie dort sicher. Zumindest für eine gewisse Zeit.
Die Nonne schüttelte den Kopf. »Wir können dort keinen Grundbesitz erwerben, selbst wenn wir die Mittel dazu hätten. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen würde niemand an uns verkaufen. Außerdem hat der Gouverneur uns verboten, Land zu weihen.«
»Dann solltet ihr von hier fortgehen, bevor alles noch schlimmer wird.« Bevor sich die Falle vollständig um sie schloss. »Wie viele seid ihr?«
»Vierunddreißig.«
So viele konnte er nicht verteidigen – nicht ohne den Sang, doch dieser würde noch mehr ungebetene Aufmerksamkeit auf die Tamasierinnen lenken. Überdies würde sie der Sang zu Tode erschrecken. Sie hatten bereits Angst vor einem Exkommunizierten; wie würden sie sich erst gegenüber einem Hexer verhalten?
Gair sah Resa an, aber ihre Miene verriet nichts. Inzwischen musste sie begriffen haben, was er in der Kapelle für sie zu tun versucht hatte, aber sie schien es niemandem mitgeteilt zu haben, auch Sofi nicht.
»Könnte der Gouverneur nicht einige Männer von der Stadtwache abstellen?«
Sofi spreizte die Hände. »Wir haben ihn darum gebeten, aber er hat Angst, dass es in der Stadt noch größere Unruhen gibt, wenn er uns auch nur einen einzigen Mann mitgibt.«
Großartig! Der Gouverneur unternahm gerade so viel, dass man ihm nicht vorwerfen konnte, untätig zu sein. So würde er nicht die Verantwortung tragen müssen, wenn die ganze Stadt in Gewalt versank, was sicherlich bald geschehen würde.
»Ihr wisst, dass ich euch jederzeit mein Schwert anbiete, wenn es für euch eine Hilfe ist.«
»Ich weiß«, sagte Sofi ein wenig steif und ohne ihn anzusehen. Sie vertraute ihm noch immer nicht vollständig. »Wenn wir Soldaten zur Unterstützung hätten, könnten wir schon morgen aufbrechen und nach Syfrien zurücksegeln, aber wir haben sie nicht, und damit ist die Sache erledigt. Wir müssen uns auf unseren Glauben verlassen und darauf vertrauen, dass uns die Göttin durch diese schwierigen Zeiten hilft.«
Der Glaube war ein mächtiges Ding, aber Glaube allein hielt keinen wütenden Pöbel auf. Er hatte Avis heute nicht geschützt, und er hatte auch Resa nichts genützt. Vielleicht hatte er ihrer Seele geholfen, nicht aber ihrem Körper.
Bei allen Heiligen, sie brauchten Hilfe. Vielleicht konnten er und Alderan … Gair ließ diesen Gedanken in der Luft hängen. Der alte Mann würde seine Suche nach der Sternensaat nicht abbrechen; das hatte er schon sehr deutlich gemacht.
Also hängt es an mir allein .
Sofi berührte ihn am Arm, als ob sie seine Gedanken erahnt hätte. »Es liegt nicht in deiner Verantwortung, Gair. Alles wird gut, du wirst schon sehen.«
»Selbst dein Glaube kann dir das leider nicht garantieren, Schwester.«
Er schob den Teller beiseite und betastete seine Seite, als es in ihr stach. Heute waren es fünf gewesen. Morgen würden es vielleicht fünfzig sein oder fünfhundert, und sie würden El Maqqam in einen Schlachthof verwandeln. Er dachte an die kleine Eiche auf dem Altar der Kapelle, die aus dicken schwarzen Nägeln bestand, und die plötzliche Kälte in seiner Seele ließ ihn erzittern.
3 6
Gair saß in der Gästehalle und säuberte seinen geborgten Qatan im Schein eines Glimms. Er hatte Handschutz und Hohlkehle gründlich gescheuert – das Salz im Blut konnte zu Rost führen, wenn es zu lange an der Klinge klebte – und die Schneide mit einem Wetzstein bearbeitet, obwohl das kaum nötig gewesen war. Auch nach eingehendem Gebrauch blieb Stahl aus Gimrael scharf.
Er drehte die Klinge in seiner Hand. Es war eine so elegante Waffe im Gegensatz zu den Schwertern, an die er gewöhnt war. Sie war leicht und so austariert, dass man schnell mit ihr zuschlagen konnte. In den Händen eines Mannes, der wusste, wie man mit ihr umging, war sie so flink wie ein Gedanke. Wenn er die Zeit gehabt hätte, hätte er gern gelernt, diese Waffe meisterlich zu führen.
Die Inschrift schimmerte im Licht des schwebenden Glimms. Er hielt die Klinge schräg, um die fließende Schrift zu studieren, doch sein Gimraeli war auf Höflichkeiten und einige wenige Redewendungen beschränkt; für eine Übersetzung reichte es nicht aus.
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