Die wilden Jahre
Haifisch …«
»Er hat ein gutes Gesicht«, sagte Eva.
»Aber Aschenbrödel«, erwiderte Martin, »nicht jeder Glatzkopf ist ein Cäsar.«
Er wurde boshaft, doch seine Worte hatten wieder den spielerischen Effekt, während er Geschichten über andere erzählte. Wenn er andere Frauen verhöhnte, klang es, als lobte er Eva. Aus kleinen Anzeichen erkannte sie, daß Martin dabei war, sich in sie zu verlieben. Sie schloß es auch daraus, daß er begann, ernsthaft mit ihr zu sprechen und mehr in ihre Augen zu sehen als auf ihre Beine. Eva lehnte sich zurück, genoß den Abend, das Dessert, den Wein, den Mann, der ihr gefiel – was ihr mißfiel.
Martin winkte dem Ober und zahlte.
»Gehen wir«, sagte er, »bevor der Hai Drumbach …«
»Reißen Sie vor ihm aus?«
»Nicht immer«, entgegnete er lachend.
Sie gingen in eine kleine Bar, in der ein Tonband mit Martins Lieblingsmusik lief, auch wenn er nicht da war. Die Hocker an der Theke waren besetzt. In der einzigen Nische des Raumes, in die das Hufeisen der Bar lief, stand das Schild Reserviert; es war für Eva nicht schwer, zu erraten, für wen sie freigehalten wurde – eine weiche bequeme Polsterbank, ein intimer Platz, Kuppler für zwei Personen.
Zwei Stunden später brachte Martin die junge Frau nach Hause. Er wollte ein Taxi rufen, aber sie schlug vor, zu Fuß zu gehen, und hängte sich bei ihm ein. Während sie nebeneinander liefen, berührten sich ihre Schultern, vereinigten sich ihre Schatten. Die Nacht war kühl und feucht.
Der Himmel hing über ihnen wie ein großes dunkles Zelt, und die Sterne sahen aus wie kleine Löcher in der Plane, durch die das Licht von außen schimmernd drang. Der Herbstwind fegte Staub über die Straßen; sie schlossen die Augen, und wenn sie sie wieder öffneten, sahen sie nur sich.
»Ist es nicht zu kalt für dich, Eva?« fragte er.
»Wenn wir einem Taxi begegnen, nehmen wir es.«
Fünf Minuten später fanden sie es, stiegen ein und fuhren zum südlichen Stadtrand.
Der Wagen hielt vor Evas Haus.
Martin half ihr beim Aussteigen. Ihre Hände fanden sich dabei in festem Druck, es war eine Höflichkeit und auch eine Zärtlichkeit, sie standen einander gegenüber und sahen sich an.
»Bis morgen«, sagte Martin leise, und Eva lächelte ihm dankbar zu, weil er nicht versuchte, diesen Abend durch übliche Wünsche zu zerstören.
X
Die Sonne war noch einmal in den Herbst eingebrochen; sie saugte die Nebel aus dem nassen Boden, auf bunten Laubblättern glänzten Tautropfen wie silberne Tränen; die Hügel, Wälder und Felder des Bergischen Landes schmiegten sich in den lichtfrohen Oktobertag, an dem die Repräsentanten der großen Drei – wie man die drei Großbanken nannte –, sowie Vertreter von Sparkassen und Giroverbänden, landwirtschaftlichen Geldinstituten und Privatbanken auf einer alten Wasserburg zusammenkamen. Der Schloßherr hatte sie zu einem hübschen Ausflugsrestaurant umgestaltet, in dessen Prunkbett vor eineinhalb Jahrhunderten Napoleon geschlafen haben sollte, der Überlieferung nach allein.
Die Gardisten des Geldes – Vorstände, Aufsichtsräte, Großaktionäre, Hausjuristen und Bevollmächtigte – trafen sich nicht, um den Intimitäten des großen Korsen nachzuspüren; die Tagesordnung galt Fragen der Konjunktur, doch als zu Beginn der Tagung Bankier Drumbach nach strengen Regeln freier Wahl zum Präsidenten gewählt wurde – was vorher schon festgestanden hatte –, wußte auch der letzte Teilnehmer, daß das gedruckte Programm den eigentlichen Zweck des Treffens verschwiegen hatte.
Das Haus, in der Nachsaison geschlossen, wurde eigens für die Bankleute noch einmal geöffnet, so daß sie ganz unter sich bleiben konnten; der Termin war günstig, da einige Teilnehmer übermorgen als Gäste der Regierung zur Diplomatenjagd in das nahe Bonn Weiterreisen konnten.
»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen«, sagte Präsident Drumbach nach seiner Wahl.
Er war groß, wuchtig, höflich und konziliant; schütteres Haar profilierte einen Kopf, den die Aureole des Erfolgs zu kleiden schien: ein Geldmann wie ein Weltmann.
Der Präsident war bescheiden, und wo er es nicht war, duldete er kein Gerücht. Trotzdem gab es eine Drumbachlegende, aber nur selten wurde sie kolportiert. Man sagte, daß er einen Anzug nie öfter als dreimal trage und unter den schütteren Haaren leide. Man wußte, daß er täglich in die Sauna ging und kein Gramm Übergewicht duldete. Sein Personalchef durfte nur Schlanke
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