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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Männer, die zum erstenmal zu ihr kamen; mitunter lud sie Besucher nur ein, um deren Debüt in ihrer Wohnung zu erleben. Kaum einer, so schien es ihr, hatte sich anfangs so gegeben, wie er wirklich war: Aufdringliche waren schüchtern, Schüchterne aus Verlegenheit forsch; Draufgänger brachten gelegentlich die Flasche in der Tasche mit, als müßten sie sich selbst Mut antrinken. Am wenigsten mochte Eva die Heuchler, welche ihre vorwiegend mit Licht und Luft möblierte Wohnung betraten wie eine Dunkelkammer und das Interieur bewunderten, während ihre Augen schon das Schlafzimmer suchten.
    Es kam Eva vor, als befänden sich viele dieser Besucher auf einem Laufsteg der Eitelkeit, Männer als Mannequins, die vor allem ihre Unsicherheit vorführten.
    Eva begegnete den Scheinheiligen scheinbar verrucht, den Gierigen solide; die Schüchternen schätzte sie, ohne daß sie ihr gefährlich werden konnten; die Draufgänger verstand sie zu bändigen, auch wenn sie betrunken waren. Sie trat als Rätsel auf, als Schwester, als Vamp, als kleines Mädchen oder auch als große Dame. Doch sie war keine Komödiantin, sie legte sich ihre Szene vorher nicht zurecht, sondern überließ sich der Intuition der Stunde.
    Schon beim ersten Gespräch mit Martin hatte sie gewußt, daß er eines Tages ihr Maßatelier männlicher Anfälligkeit betreten würde, obwohl sie entschlossen war, ihn nicht einzuladen. Weil es heute schon geschah, war sie überrascht, wenn auch nicht erregt.
    Martin kam, sah und lachte. Er brachte Rosen mit, dunkelrote, verglich Eva mit seiner Erinnerung wie ein Maler sein Modell mit dem Bild und war zufrieden. Eva besann sich später an jedes Wort, das er gesagt hatte, während er unbefangen durch die Wohnung ging, als sei er hier zu Hause. Er warb um sie mit Geschick und Verstand; nichts versuchend, wurde er unversehens zum gefährlichen Versucher.
    Er betrat die Loggia, sah über den nächtlichen Stadtrand hinweg, an dem ihre Wohnung lag: alte Häuser lehnten sich an Neubauten, als suchten sie Hilfe; die Glaspaläste neben ihnen, steinerne Primadonnen des Wirtschaftswunders, trugen den Kopf so hoch, als schämten sie sich der armen Verwandten.
    Eva stand neben ihm; sie beugten sich über die Brüstung. Seine Augen ließen die alten Häuser stehen und betrachteten Eva. Sie trug ein schlichtes, wie auf die Haut geschnittenes Kostüm, das flaschengrün war, abgestimmt auf ihr Haar. Die Frisur, asymmetrisch gelegt, machte ihre Stirn runder und ihr Gesicht fremder, eigenwilliger.
    »Zufrieden«, fragte sie.
    »Mehr als das«, antwortete Martin. »Sie leben hier – allein?«
    »Allein schon, aber keineswegs einsam.«
    »Darf ich mich unter die Schar ihrer Bewerber mischen?«
    »Wenn Sie sich an die Spielregeln halten«, entgegnete sie.
    »Welche Spielregeln, Eva?«
    »Viel Geduld, noch mehr Zeit, altmodische Werbung … und ein Schuß Bescheidenheit.«
    »Einverstanden«, versetzte Martin mit kleinlauter Unverschämtheit, »und wohin darf ich Sie jetzt einladen, Aschenbrödel? Vielleicht eine kleine Wirtschaft im Osten, eine große Flasche Bier zu zweit und ein üppiges Butterbrot?« fragte er frech und zärtlich.
    Sie saßen in der Kaminecke eines neuen französischen Restaurants, nahmen zunächst Scampi in der Schale, am Kohlenfeuer gegrillt und scharf gewürzt. Ungefragt brachte der Ober den Wein, herben Chablis, und Martin erklärte Eva, die sich darüber wunderte, daß er oft mit Maman, die Französin sei, dieses Lokal besuche.
    »Es ist Heimweh«, sagte Martin, »der Patron stammt wie sie aus der Provence. Die beiden sprechen über Südfrankreich, und so kommen wir immer wieder hierher, obwohl Maman«, er lächelte nicht wie ein Sohn über die Mutter, sondern wie ein Vater über die Tochter, »das Essen scheußlich findet – womit sie übrigens irrt.«
    »Ist das nicht ein bißchen sehr – kapriziös?« fragte Eva vorsichtig.
    »Und ob«, antwortete Martin, »aber was an ihr wäre es nicht?«
    Sie aßen mit genüßlicher Umständlichkeit. Die Kellner benahmen sich, als stünden sie ausschließlich im Dienste der Firma Ritt. Die anderen Gäste wurden unwillig, einige, weil sie Martin kannten, andere, weil sie nicht wußten, wer er war, es jetzt aber erfuhren und nunmehr wissen wollten, wer die Begleiterin des bekannten Finanzmannes sei.
    Das Restaurant war gut, teuer und in Mode; es wurde zu einem unfreiwilligen Treffpunkt der Menschen, die sich am Abend ungern begegneten. Manche Gäste kamen auch nur hierher,

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