Die wilden Jahre
können.
Nüsslein, der Generaldirektor, saß neben Silbermann.
Sie trafen sich wohl, weil sie beide im Schatten der Großen standen. Der rundliche Nüsslein war als Schwiegersohn des Großaktionärs eines Versicherungskonzerns nach oben gelangt und Silbermann, ein Günstling Drumbachs, hier noch unbekannt; als Funktionär eines verbandsnahen Public-Relations-Büros saß er hier ohnedies auf dem letzten Platz der Tischordnung.
»Meine Herren«, sagte Drumbach und klopfte an sein Glas. Das leise schwingende Geräusch durchschnitt sofort die Gespräche der Tafel. »Keine Angst – keine Rede«, fuhr der Präsident fort, »ich erteile nur einem Meister seines Fachs das Wort.« Er trank jovial dem herbeigeholten Küchenchef zu, der, in der Tür stehend, sich stumm verbeugte. »Ich möchte lediglich die Gelegenheit wahrnehmen, auf unsere kollegiale Zusammenarbeit zum Nutzen der Allgemeinheit …«
Sie hoben die Römer und prosteten einander zu, auch mehrere Herren, die Mineralwasser tranken.
Silbermann wählte als Hauptgang gespickten Rehrücken mit Champignons. Er aß gierig, schlang große Stücke unzerkaut hinunter; die Gabel schippte wie eine Schaufel. Nüsslein, der Tischnachbar, betrachtete ihn unwillig und überlegte – wie auch andere, denen Silbermanns Tischsitten mißfielen –, was der Mann mit dem seltsam kleinen Mund in einem komisch geformten Gesicht hier zu suchen hatte.
Silbermann, dessen Büro Millionen von Konsumenten neuen Sparwillen einhämmern sollte, spürte die stumme Rüge und fuhr sich wie erschrocken mit der Serviette über den Mund.
»Großartig«, sagte er kleinlaut, »wirklich ausgezeichnet, der Koch.« Von nun an aß er appetitlich, ein Musterschüler des Offizierskasinos; er konnte es und hatte es anscheinend nur vergessen.
Die Spannung wurde gegen Mittag des zweiten Tages unerträglich. Die Routine der Konferenz rotierte – und keiner sprach offen von Rotation. Dabei waren viele Teilnehmer von ihren interessierten Firmen zur Wasserburg wie zu einem Scherbengericht entsandt worden. Präsident Drumbach blieb höflich, unverbindlich und undurchsichtig; direkten Fragen wich er aus, andere begriff er nicht.
»Eigentlich wären wir am Ende«, gab er endlich das Stichwort zur Treibjagd, aber an das Präsidium sei aus Kreisen der Konferenz ein Antrag herangetragen worden, der einerseits zwar interessant, sogar sehr interessant sei, andererseits aber gewissenhaft überlegt werden müsse, da er nicht ohne Gefahr … »Außerdem möchte ich schon jetzt vorsorglich dem Verdacht begegnen, daß wir hier eine Kartellabsprache träfen –«, schloß Drumbach, sah an den Gesichtern der Bankleute vorbei und verweilte bei Silbermann. »Bei der Gelegenheit darf ich ein Versäumnis nachholen und Ihnen den neuen Leiter des ZBV-Instituts vorstellen – es ist Herr …«
»… Silbermann«, nannte Drumbachs Schützling seinen Namen. Er stand auf und verbeugte sich.
Augen, die sich ihm zuwandten, begegneten einem biederen Bundesbürger, der offensichtlich zwei Kriege überlebt, es im Leben zu etwas gebracht und sich mit der Vergangenheit ausgesöhnt hatte: einem Mann über Fünfzig, der übergewichtig, infarktbedroht und linientreu wirkte.
»Bitte, Herr Direktor«, räumte Drumbach, den Titel seines Günstlings polierend, den Platz, »Sie haben das Wort …«
Silbermann ging mit linkischen Bewegungen auf den Vorstandstisch zu, lächelte unsicher, untertänig, und begann:
»Meine Herren, ich möchte gleich zur Sache kommen …« Auf dem Podium stehend, schien er zu wachsen; vom Rednerpult, das seine Hände berührten, übertrug sich auf ihn eine magische Kraft, die seine Stimme festigte und seinen Oberkörper straffte.
»Es handelt sich um seltsame Geschäfte des Herrn Martin Ritt …«
Der Wagen rollte über die Landstraße. Der Fahrer hielt das Steuerrad, als streichle er es. Sträucher und Bäume, Masten und Häuser webte die Geschwindigkeit wie bizarre Muster in den herbstlichen Teppich.
Das Auto erreichte die Steigung und fiel im Tempo zurück; sein Fahrer blieb vergnügt, obwohl er andere Wagen als diesen alten Ford vom Autoverleih zu fahren gewohnt war.
Martin genoß den Tag, den Weg, das Ziel: die Wasserburg. Er war über alle Vorgänge unterrichtet – von einem Teilhaber, der auf zwei Schultern trug –, und so würde er zu einem ungebetenen, unerwarteten Gast seiner geschäftlichen Totenfeier werden, die zur Stunde von Bettinas Prätorianern und Drumbachs Zahlmeistern
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