Die wilden Jahre
um gesehen und wenigstens für das Fußvolk der mondänen Welt gehalten zu werden oder um ihre Begleiterinnen vorzuführen wie diese ihre Juwelen. Die Klatschspalte eines Boulevardblattes registrierte gewissenhaft, wer hier welches Gericht mit wem gegessen hatte.
»Sie kompromittieren mich bereits«, sagte Eva.
»Verlassen Sie sich darauf, Aschenbrödel«, entgegnete er, »wir stehen erst am Anfang.« Er hob das Glas. »Auf uns – auf den Abend.«
Eva betrachtete seine Hände. Musikalische Hände, dachte sie: seltsame Hände für einen Mann, dessen Griff man fürchtet.
Das Restaurant lag angenehm im Halbdunkel. Das Kaminfeuer warf ungebärdige Schatten an die Wand, die einander jagten oder gemeinsam nach oben strebten und dann zusammenfielen. Aus dem Dämmerlicht kamen Silben, Worte, Gelächter; Brillanten blinkten wie kleine Flämmchen auf.
»Sehen Sie, wie die Edelsteine einander ihre Karate signalisieren?« fragte Eva.
»Ja«, erwiderte Martin lachend, »der Wohlstand schlägt Funken.«
Auf den Tischen standen schwere Silberleuchter, und der Kerzenschein spielte mit den Gesichtern, verbesserte oder verschlechterte sie, zog Jahre des Lebens ab oder zählte welche hinzu, überzog müde Männer und schlaffe Wangen mit barmherzigen Schatten, machte junge Augen hart und frische Lippen kalt, deutete auf gelichtete Haare und geliftete Hälse, verwischte es sofort wieder, wie erschrocken: er wurde zum Zerrspiegel, zur verwackelten Momentaufnahme, die blieb, auch wenn die Kerzen wieder ausgeblasen wurden.
Eva und Martin waren bei der gespickten Seezunge und der zweiten Flasche Wein. Ein Zeitungsverkäufer ging durch das Lokal, und er rief die Schlagzeilen aus wie eine Wundersalbe: »Von der neuen Regierungsbildung in Bonn.«
In der Nähe des Tisches standen drei Kellner, auf Martins Wink wartend.
»Gehört Ihnen das Restaurant eigentlich auch?« fragte Eva lachend.
»Nein« erwiderte er, »aber an der Zeitung bin ich beteiligt.« Er winkte dem Verkäufer und griff mit spitzen Fingern nach dem Blatt.
»Haben Sie gewählt, Aschenbrödel?« fragte Martin.
»Nein«, antwortete sie.
»Warum nicht?«
»Ich wußte nicht, wen ich wählen sollte.«
»Sie sind ein kluges Kind, Aschenbrödel.«
»Haben Sie gewählt?« fragte Eva.
»Ja.«
»Wen oder was?«
»Die Verlierer.«
»Das passiert Ihnen?«
»Ja«, sagte er, »die Opposition kocht mit Wasser, aber die anderen kämpfen mit den himmlischen Heerscharen. Verstehen Sie?«
»Ja«, antwortete Eva, »Sie sind ein schlechter Verlierer.«
»Hoffentlich sind wir nicht bald alle Verlierer«, erwiderte er.
Eva horchte seiner Stimme nach. Sie klang fremd, sie merkte, daß auch sein Mund bitter wurde. Martin verbreitete sich weiter über die Wahl, erläuterte die Schwierigkeiten seiner Firma nach dem Millionenvotum für die bisherige Politik; aber sie merkte, daß die wirkliche Sorge bei ihm viel tiefer saß – denn er setzte hinter seine Worte nicht mehr den Drall seiner Ironie; er spricht, dachte sie, nicht wie sonst, er ist gereizt und laut, heftig und plump. Vielleicht hat sich ihm die Zeit eingebrannt wie ein Viehstempel …
»Aber lassen wir uns den Abend nicht durch die Politik verderben.« Er ergriff ihre Hand, hielt sie kurz fest und fragte: »Wie geht es mit uns weiter, Aschenbrödel?«
»Hat es schon begonnen?«
»Ich hoffe«, antwortete er. »Haben Sie kein Programm?«
»Doch. Wir gehen ab und zu miteinander essen, ins Theater oder in ein Konzert. Zu Weihnachten dürfen Sie mir eine Kleinigkeit schenken …«
»Immerhin«, sagte er lachend.
Neue Gäste betraten das Restaurant, vor denen der Patron dienerte, während er zu dem Tisch am Kamin hinsah. Eva erkannte Drumbach, den Bankier, der Martin steif und etwas zu betont begrüßte; eine blonde Dame folgte ihm, die Martin mit den Augen in einer Art zulächelte, die Eva sogleich erfaßte und richtig deutete.
Die neuen Gäste blieben am reservierten Nebentisch stehen. Während der Bankpräsident mit dem Besitzer verhandelte, drehte sich die Blondine wie zufällig nach Eva um.
»Die vierte Frau Drumbach«, erläuterte Martin halblaut, vergnügt beobachtend, daß dieser, vor ihm flüchtend, sich einen anderen Tisch geben ließ. »Von seiner ersten Frau ist er geschieden – sie erhielt einen Gutshof als Abfindung; die zweite ist gestorben; die dritte ist mit einem italienischen Jazztrompeter durchgebrannt, was ich großartig finde, und die vierte wird auch nicht lange – bei diesem – diesem
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