Die wilden Jahre
anstellen, und in den Firmen, die er beherrschte, galt nicht des Wirtschaftswunders alte Regel: Erfolg macht dick, sondern es hieß: Fett macht faul.
Drumbach hatte keine großen Passionen, kaufte keine rassigen Pferde oder seltenen Briefmarken, kein Flugzeug und keine Privatjacht. Das einzige, was er sich gestattete, waren Frauen, die er heiratete, abfand oder aushielt. Heimlich bevorzugte er robuste, handfeste Damen, da er im Pyjama sehr anders war als im dunklen Anzug, ohne den ihn niemand sah.
Er aß Rohkost, konsumierte Fruchtsäfte und absolvierte Freiübungen. Er trank selten, aber immer vor amourösen Begegnungen und dann nur etwas Whisky, zwei, höchstens drei Glas, ohne Wasser, ohne Eis, lauwarm.
»Bitte«, er winkte einen Kellner herbei, »ziehen Sie die Vorhänge zurück.« Launig setzte er hinzu: »Unsere Tagesordnung braucht das Tageslicht nicht zu scheuen.«
Die Gäste der Wasserburg lachten über die Anspielung; ein lästiger Rivale sollte heute lautlos beseitigt werden. Die Konferenz war schon vor Monaten angesetzt worden als eine der üblichen Zusammenkünfte, die den Tendenzen des Kapitalmarkts, der Sicherung der Währung wie dem geselligen Zusammensein galten; aber erst vor kurzem hatte sie ihren eigentlichen Zweck gefunden.
»Meine Herren«, begann Bankier Drumbach, »leider muß ich Ihnen sagen, daß Punkt zwei der Tagesordnung geändert wurde. Der Vortrag über die Reform des Aktienrechts muß ausfallen, weil der Referent, Herr Staatssekretär Schlemmer, erkrankt ist.« Er lächelte anzüglich. »Bedauerlicherweise …«
Drumbach wußte, daß der Mann aus dem Justizministerium nicht erkältet, sondern nur vorsichtig war: wegen Bettina, der Patronin dieser Tagung.
Ein Professor aus Genf hielt anstelle Dr. Schlemmers einen Vortrag, der morgen in allen Zeitungen stehen würde, obwohl kein Journalist hier zugelassen war. An die hundert Zuhörer, die zur Elite der Branche gehörten, folgten dem Referenten aufmerksam; von denen, die nicht vertreten waren, hatten einige den Beschlüssen der Konferenz von vornherein zugestimmt.
Auf dem mittelalterlichen Hof standen moderne Straßenkreuzer, manche mit dem Kühler gegeneinander, andere Heck an Heck – Wagen aus Frankfurt und Düsseldorf, Bonn und Berlin, München und Stuttgart.
Die Fahrer, Diener, die wie Herren wirkten, spielten im Gesindehaus Skat – ihre Herren, die dem Gelde dienten, saßen am runden Tisch und vertraten Summen, die sie nicht mehr zu zählen, sondern nur noch zu stapeln vermochten: arme Reiche, für die das Geld längst den Sinn verloren hatte, Not zu lindern, Träume zu erfüllen, Ziele zu erreichen, Sehnsüchte zu wecken. Geld war für sie kein Traum mehr, sondern geballte Macht; sie hatten keine persönlichen Bedürfnisse außer jenen, die durch Geld nicht zu befriedigen sind.
Sie saßen zwanglos in der bunten Reihe des Zufalls, nicht ihrem Rang entsprechend; so verschieden ihre Herkunft war, in einem ähnelten sie sich: der Umgang mit dem Geld hatte seine harte Moral, die korrekte Kleidung, strenge Formen und peinliche Ordnung vorschrieb, und so glichen viele Gäste am runden Tisch kommerziellen Puritanern, denen man ansah, daß bei ihnen jeder Betrag belegt und jeder Beleg geprüft war – heimliche, unheimliche Herren des Geldmarkts, Lehrlinge des Zauberers Kapital.
Für sie gab es kein Bankgeheimnis; sie unterschieden die Schwachen von den Starken, die Emsigen von den Trägen. Sie gossen Treibstoff in die Wirtschaftsmaschine, und sie konnten einem Millionenheer kleiner Leute wie der Hundertschaft der Großfirmen helfen: Wohltäter, die das Maß der Dankbarkeit in Form von Zinsen selbst bestimmten.
Die Mittagstafel löste den Konferenztisch in kleine Runden von Herren auf, die einander suchten, um Verbindungen anzubahnen, Informationen auszutauschen oder um sich Herrenwitze zu erzählen. Man aß nach der Karte. Ein bekanntes Hotel hatte seinen berühmten Küchenchef ausgeliehen, und schon während des professoralen Vortrags hatte sich der Duft seiner Kunst gegen den Dunst des Geldes erhoben, um ihn schließlich zu überwältigen, Sieger für eine Stunde.
Puritanerköpfe beugten sich über Porzellanteller mit Wildpasteten, Austern, Jakobsmuscheln, Hummern und Krebsen. Der namhafte Koch hatte auch die Herren mit dem schwachen Magen bedacht, Diät wurde aufgetragen und auch abgelehnt; viele Genießer schluckten zwischen den Gängen scheußlich schmeckende Tabletten, um dann als Gourmets weiter sündigen zu
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