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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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sie so mochte.
    Die Lautsprecher suchten einen Passagier, eine Bodenstewardess die Mutter eines farbigen Kindes, das sich in dem Gewirr der Menschen, Sprachen, Schicksale und Zufälle verlaufen hatte. Der greinende Findling blieb stehen, lächelte Eva an und lief tolpatschig auf sie zu. Die junge Frau streichelte den kraushaarigen Kopf, während das schlanke große Mädchen im blauen Kostüm sich höflich entschuldigte, um mit unterdrückter Enttäuschung weiterzugehen.
    Ein Herr mit Bowler und Börsenhabitus redete auf eine Inderin im Sari ein; ein Zollbeamter sprach so höflich mit einem Gepäckträger, als unterhalte er sich mit einem Minister. Zwei Farbige in offenen Hemden wurden von einem korrekt gekleideten Regierungsbeamten freundlich begrüßt, und Eva – durch Heirat selbst eine zufällige Bürgerin des Commonwealth – wartete darauf, daß der Regierungsmann mit der Arroganz des Gentleman nun seinen eigenen Schlips abbinden würde.
    Der Flughafen glich dem übervollen Wartesaal eines vergangenen Weltreiches, das seine Unterworfenen zu Verbündeten gemacht hatte, die sich in Stil und Sprache der Insel anpassen wollten, so daß London die Metropole der Toleranz geblieben war, Hauptstadt einer Duldung, die keinen Besucher auffallen ließ.
    Dennoch merkte Eva, daß sie beachtet wurde; sie trug ein knappsitzendes fliederfarbenes Kostüm, das sich, im Ton wechselnd, jedem Einfall des Lichts assimilierte.
    Sie sah durch die Fensterscheibe, verfolgte, wie die überschnelle Maschine schwerfällig heranrollte, und beobachtete dabei unbewußt, daß ein junger Mann im kleidsamen Fliegerdreß stehenblieb und Evas Blick suchte; er merkte, daß es vergeblich war, und zündete sich, um den Rückzug zu spielen, eine Zigarette an.
    Eva entdeckte Martin sofort; er war umringt von Passagieren, wirkte aber selbst in der großen Gruppe wie ein Einzelgänger, schlank, kühl, gleichmütig. Sicheren Schrittes ging er auf die Zollschranke zu, verlor sich ein paar Minuten in dem Empfangszeremoniell, tauchte wieder auf, sah Eva, winkte, lächelte, riß sie an sich.
    »Schönste!« rief er.
    »Teuerster!« erwiderte sie; beide lachten, und Martin hängte sich bei ihr ein. Eva betrachtete ihn von der Seite. Sein Gesicht war wieder voller geworden, was die scharfen Linien und harten Züge tilgte oder minderte. Er wirkt wie ein Mann, dachte Eva, der aus dem Sanatorium kommt, erholt und gestärkt, wild auf das Leben.
    Der Gepäckträger fragte, ob er den Koffer zum Taxistand bringen solle, aber Eva erklärte, daß ihr Wagen auf dem Parkplatz stehe.
    »Du hast deinen Wagen dabei?« fragte er.
    »Den Wagen einer Freundin.«
    »Einer Freundin in London?«
    »Ja«, antwortete sie. »Ich habe viele Freunde hier. Bitte stelle dich darauf ein. Außerdem bist du bei mir zu Gast …«
    »Du bei mir«, widersprach er.
    »I am british, Darling«, erinnerte Eva. »Du mußt erlauben, daß ich im Namen Londons die Honneurs …«
    »Das wird ein Spaß!« ging Martin auf ihren Ton ein. »Vormittags Britisches Museum, anschließend Besuch des Tierfriedhofs, danach Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett, Taubenfütterung an der Nelsonsäule und dann Buckingham-Palace …«
    »Übernimm dich nicht am ersten Tag!« unterbrach sie ihn. »Zunächst fahren wir nach Soho, und du wirst mich in einem französischen Lokal zu einem kräftigen Lunch einladen, dort ergehen dann weitere Weisungen.«
    »Weisungen?« fragte er. »Ich war zu lange weg, wie konnte ich auch!« Er nahm Evas Hand vom Lenkrad, drehte sie um, küßte sie.
    »Vorsicht!« warnte sie. »Oder bist du lebensmüde?«
    »Hast du eine Ahnung!« versetzte Martin. Er benahm sich während der ganzen Fahrt wie in Rom: aufmerksam und zärtlich, verliebt und albern – ohne zu merken, wie sorgfältig er von Eva beobachtet wurde, die noch immer nach falschen Tönen horchte, um fast ein wenig enttäuscht festzustellen, daß Martin war, wie er sich gab.
    »Übrigens ist dir New York gut bekommen«, sagte sie. »Das ist mir recht. Außerdem freue ich mich, daß du hier bist. Schluß der Rede!« setzte sie hinzu.
    »Und so schließe ich mich den Ausführungen meiner verehrten Vorrednerin an«, entgegnete Martin, »sie ist schön und klug, fein wie Seide, aber auch scharf wie Pfeffer – sie ist die Frau, mit der ich jetzt ins Bett gehen werde, was ich wirklich nötig habe, um festzustellen, daß London die schönste Stadt der … –«
    »Attention please!« dämpfte Eva, »unser Bett ist weder im Claridge

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