Die wilden Jahre
bittend und drängend, ihm die Kugel aus dem Leib zu ziehen, sein Relikt aus dem Krieg, und Eva überlegte, wie sie es vermöchte.
»Mit einer schönen Frau – mit der einzigen, die zählt … Unsinn, mit der ersten Frau, die ich wirklich …« Er beugte sich zu ihr hinab. »Ich brauche dich«, sagte er eindringlich, und Eva spürte seine Hände so fest auf ihrer Haut, daß es schmerzte und beglückte.
II
Der Resident des Ritt-Hochhauses hatte erwartet, daß ihn ein zweitrangiger Mann des ABC-Konzerns wegen offensichtlicher Scheinverhandlungen aufsuchen würde, doch als sich überraschend Präsident Drumbach selbst an ihn wandte, wußte Dr. Schiele, daß dieses Gespräch nicht nur vordringlich, sondern auch hintergründig sein würde. Der gewiegte Jurist hatte erfaßt, daß es der Gegenpartei nicht darum ging, mit Ritt zu verhandeln, sondern mit Schiele zu sprechen.
Sie verabredeten sich in einem renommierten Kellerrestaurant zwischen den Bankpalästen, dem die Schmerbäuche der Konjunktur eine eigene Diätassistentin verordnet hatten. Den anderen Gästen erschien die Begegnung wie ein Aprilscherz, der noch durch eine weitere Pikanterie gewürzt wurde: Der Vorsitzende eines wirtschaftsrechtlichen Ausschusses, Dr. Umlauf, hatte soeben wissen lassen, daß die Mitglieder dieses Gremiums mit großer Mehrheit beschlossen hätten, Reformvorschläge des Kapitalmarktes ab sofort hinter verschlossenen Türen zu erörtern, um sich durch Geheimberatung gegen Einflüsse und Einbrüche parteilicher Interessenten abzuschirmen.
Wer es verstand, zwischen den Zeilen der knappen Mitteilung zu lesen, wußte, daß bald und ohne öffentliche Diskussion der Entwurf einer Lex Ritt dem Plenum zugeleitet würde, einem Parlament also, in dem die gleiche Mehrheit herrschte wie im Ausschuß.
Der Präsident erwartete seinen Gast an einem stets für ihn reservierten Tisch. Obwohl Schiele den Platz kannte, ließ er sich von einem Ober hinbegleiten. Drumbach erhob sich nur halb, wie auch der Jurist keine besondere Förmlichkeit zeigte.
»Freut mich, daß wir uns einmal wiedersehen, Herr Präsident«, begrüßte der Vertreter Ritts den Feind Ritts.
»Für alte Bekannte wie Sie«, entgegnete der Bankexponent, Dr. Schiele mit einer knappen Geste den besseren Platz zuweisend, »heiße ich nach wie vor Drumbach.«
Sie kannten sich seit Jahrzehnten, in denen sie sich einander nicht genähert hatten, weniger aus Abneigung als aus Zeitmangel. Gemeinsam hatten sie zwischen Kriegen in inferioren Regionen begonnen und eilig die ersten Stationen der Karriere durchlaufen, im Bankgewerbe der eine, in der Versicherungsbranche der andere. Dann war der Krieg gekommen und hatte aus Drumbach einen Wirtschafts-Satrapen besetzter Gebiete und aus Schiele einen Feldrichter befohlener Kampfmoral gemacht, wodurch sich das Maß der Macht für immer verschoben hatte.
»Ich habe dieses Lokal vorgeschlagen, weil es so günstig liegt«, sagte Drumbach, »hoffentlich konveniert es auch.«
Sie beugten sich über die Speisekarte, obwohl es bei dem Bankier unnötig und bei dem Juristen unerlaubt war: Drumbach kasteite sich mittags stets freiwillig durch Crudites, während Schiele vom Arzt strenge Schonkost auferlegt war.
»Das übliche«, bestellte der Präsident und betrachtete seinen Tischgast fragend, der mit hungrigem Gesicht eine magere Bouillon wählte. Obwohl dem Getränkekellner nur Fruchtsaft und Tafelwasser aufgetragen wurden, zog er sich wie ein Beschenkter zurück.
»Sie haben sich überhaupt nicht verändert, Drumbach«, sagte Schiele, »mein Kompliment, wie Sie sich über die Jahre …«
»Mein Rezept«, erwiderte der Präsident, »und mein Preis«, setzte er mit klagendem Stolz hinzu, auf die große Silberplatte weisend, auf der Frugales anmutig arrangiert war: zerkleinerte Mohrrüben, geraspelter Sellerie, Salatblätter und Meerrettich um ein hartes Ei garniert. Drumbach, der eine Spur Mayonnaise entdeckt zu haben glaubte, schickte die Platte zurück, und Schiele, erschreckt durch soviel Abstinenz, ließ sich noch einmal die Karte geben, um zum Fleischtopf überzulaufen.
»Ich sollte ja nicht«, sagte er, »aber …«
»Der Magen?« fragte der Präsident höflich.
»Die Galle.«
»Mit der Galle bekäme ich sicher auch zu tun«, entgegnete Drumbach gut gelaunt, »wenn ich auf Ihrem Stuhl säße.«
»Bleiben Sie gesund«, antwortete der Bevollmächtigte und bestellte Rehrücken mit Maronen, Pommes croquettes nebst einem schweren Rotwein.
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