Die wilden Jahre
ihm weh tut, wenn du bei jeder Gelegenheit zu Martin gehst, auf den er eifersüchtig sein muß – als Mann wie als Vater …«
»Ja, Mutti.«
»Aber das soll dich nicht hindern, ich stehe zu meinem Wort, daß du zu ihm, zu Martin, darfst, wenn auch dieses Pendeln weder für uns noch für ihn – noch auch für dich ein idealer Zustand ist.«
»Aber was soll ich …?«
»Eben«, erwiderte Bettina, »wir wollen uns nicht wie Kinder benehmen.« Sie streichelte Petras Wangen, deren Augen feucht glänzten, »… und die Situation meistern, so gut oder so schlecht …«
»Wenn du einen anderen Weg weißt …«, gab Petra der Mutter das Stichwort.
»Einen anderen Weg?« Bettina schüttelte den Kopf. »Nein, den gibt es nicht, leider.« Sie schien noch immer darüber nachzudenken. »Oder viel … leicht.« Sie ließ das Kind los und sah wieder zum Fenster hinaus. »Aber das ist sicher auch nur so eine fragliche Idee.«
»Was?«
»Natürlich würde es dieses dumme Hin und Her …«
»Wovon sprichst du?«
»Von einem Pensionat«, antwortete Bettina, »erschrick bitte nicht, von einem exklusiven Haus, in Genf oder Lausanne oder St. Moritz, oder wo du willst …« Die Mutter schien sich selbst noch gegen den voreiligen Gedanken zu wehren. »Wenn du willst …«
»Ich – ich weiß nicht …«
»Wie gesagt, kein Vorschlag, Kind, nur eine Idee – die freilich zu einer sauberen, gangbaren Lösung …«
»Wieso?« fragte Petra. »Statt bei euch oder bei ihm zu sein – wäre ich dann ganz allein.«
»Dummes Ding«, entgegnete Bettina rau, doch herzlich. »Gibt es denn kein Wochenende? Keine Besuche? Keine Ferien? Man würde dir keine Fahrkarte schicken? Wir besäßen keinen Wagen, der uns zu dir bringt – und Martin kein Flugzeug?«
Die Luft ist schneller als die Straße, dachte Petra; sie fing sich aus der Verwirrung und überlegte flüchtig, seit wann ihre Mutter Vorschläge zu ihrem Nachteil machte: fashionables Töchterheim? Besuch? Sie sah Bettina, Madame und Martin als Weekendgäste, die aufeinanderstießen und nicht länger einander ausweichen konnten, von ihr in die Falle gelockt. Sie sah sich in der gesellschaftlichen Überlegenheit, mit dem sicheren Schliff, den man in einem mondänen Pensionat erhält; ihre neuen Freundinnen entstammten der internationalen Hautevolee, waren Töchter von Filmstars, des Hochadels oder berühmter Industriefamilien. Petra sah sich polyglott, verwöhnt und vielbeneidet.
»Ich dürfte meine Ferien bei Martin verbringen?«
»Einmal bei ihm – einmal bei uns.«
»Und du würdest mich besuchen?«
»So oft es geht.«
»Und auch Martin dürfte zu mir kommen?«
»Aber ja.«
»Nicht nur jedes vierte Wochenende?«
»So oft du willst«, sagte Bettina gelassen, »oder besser, so oft er will.«
»Aber wenn ihr einmal zusammentrefft?« fragte Petra.
»Nicht auszudenken«, erwiderte Bettina mit forciertem Entsetzen.
Eva fuhr zum Londoner Flugplatz, um Martin abzuholen. Sie chauffierte den rechtsgesteuerten Wagen gewandt aus der Stadt, kam aber nur langsam nach Croydon, da die größte Stadt der Welt aus einer einzigen überfüllten Gasse zu bestehen schien, die zum Heimkehrer führte, so daß die junge Frau mit den kastanienroten Haaren fürchtete, zu spät zu kommen.
Eva war ohne Zögern der Einladung nach London gefolgt, da sie sich auf Martin freute; aber sie wußte, daß dadurch die Karenzzeit, der Waffenstillstand der Gefühle und Begegnungen, beendet würde.
Es hatte sie bestürzt, wie schwer Martin den Tod des Freundes trug, wenn es sie auch fast ein wenig beruhigte, daß ihn ein menschlicher Verlust so treffen konnte. Eva war ihm ausgewichen, hatte eine dringliche Reise vorgeschützt, die sie erst beendete, als Martin nach Amerika abgeflogen war.
Sie parkte den Wagen, ging auf das Hauptgebäude des Flughafens zu und stellte fest, daß sie gerade noch zurechtkam. Die Startbahnen lagen im milchigen Dunst. London zeigte sein unfreundlichstes Wetter, aber die Lautsprecher verkündeten in diesem Moment, daß die Maschine aus New York gelandet sei.
Zum ersten Male spürte Eva vor dem Wiedersehen mit dem Mann, den sie liebte, eine Beklemmung, die sie nicht zu verdrängen versuchte. Sie war während der letzten Monate auf Martins Stimme angewiesen gewesen und hatte so gelernt, mehr auf deren Klang als auf seine Worte zu achten. Auch über die endlose Entfernung hinweg hatte sie herausgehört, daß seinen Worten häufig der spielerische Tonfall fehlte, den
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