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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Schlemmer über ihren Vater bei aller Abneigung in einem freundlicheren Ton gesprochen wurde als früher. Auch andere Veränderungen waren ihr aufgefallen: die Mutter stellte kaum mehr Fragen, wenn Petra zu spät nach Hause kam oder wenn sie sich unter dem Vorwand entfernte, sie wolle bei einer Freundin die Hausaufgaben machen, dann aber mit leerem Heft heimkam.
    Selbst wenn sie sich schminkte, wurde die nun bald Fünfzehnjährige nicht mehr ausgescholten. Einmal, von Bettina im Bad überrascht, als sie deren Lippenstift ausprobte, erteilte die Mutter statt einer Rüge den Rat: »Diese Farbtönung steht dir nicht, mein Kind. Außerdem ist deine Oberlippe zu schmal geraten; du solltest den Bogen höher ziehen. Vergiß nicht, daß die Kosmetik nur erfunden wurde, damit wir Frauen unsere äußeren Fehler kaschieren können – für die inneren haben wir ja den Verstand.« Petra hatte hinter der überraschenden Toleranz, die sie genoß, ohne ihr ganz zu trauen, eine Finte vermutet; als aber die neuen Freiheiten – entgegen ihrer Erwartung – eher erweitert als eingeschränkt wurden, begannen sie zu wirken.
    »Verstehst du das?« fragte Petra und reichte der Mutter den Zeitungsartikel.
    »Wenigstens teilweise«, antwortete Bettina.
    »Es ist nur so umständlich formuliert«, erläuterte Heinrich Schlemmer, »die Sache ist in Wirklichkeit ganz einfach: ein Mann, dem man – vermutlich aus guten Gründen – den Haupteingang versperrt hatte, schlich sich durch die Hintertür …«
    »Mit diesem Mann meinst du meinen Ritt-Vater?«
    »Erraten.«
    »Der noch in Amerika ist.«
    »Immer noch?« fragte Bettina ohne Neugier.
    »Ja. Ich habe mit ihm telefoniert.«
    »Wann?«
    »Gestern nachmittag.«
    »Als du bei deiner Freundin warst?« entgegnete Bettina.
    »Ja, Mutti.« Einen Moment kämpften Trotz und Scham in Petras Gesicht. Dann sagte sie: »Ich habe dich beschwindelt; ich war bei ihm – ich meine in seinem Haus – bei Madame.«
    »Ich habe es gemerkt«, erwiderte Bettina ein wenig müde, »nicht nur gestern.«
    Während Tochter und Mutter ob der freien Geständnisse verlegen wirkten – bei Petra war es echt, bei Bettina gespielt –, erhob sich Schlemmer. Er schritt, nach vorn geneigt, wie gebeugt von einem Tagewerk, das noch vor ihm lag. Unwirsch warf er die Zeitung in den offenen Kamin, und auch sein Gruß, mit dem er den Raum verließ, verbarg nicht, wie sehr ihm der Morgen verleidet war.
    Bettina sah ihm nach, als müsse sie ihr Gesicht vor dem Kind abwenden. »Jedenfalls freue ich mich«, sagte sie, »daß wir einmal nicht aneinander vorbeisprechen.«
    »Was ist eigentlich los mit dir, Mutti?« fragte Petra direkt. »Früher warst du doch …«
    »Sprechen wir nicht mehr von früher, früher haben wir Fehler gemacht.« Sie legte den Arm um Petra. »Das wollen wir nicht wiederholen. Du bist jetzt groß genug – und es wäre eigentlich an der Zeit, daß wir offen miteinander reden. Du brauchst dich nicht zu schämen, wenn du mich belogen hast. Eigentlich war es meine Schuld, denn ich habe dich schließlich dazu …« Ihre Hände zupften an einer Serviette; Petra sah verwundert, daß sich die Mutter eine nervöse Geste erlaubte. »Ich war eben verbittert.« Bettina legte die Serviette beiseite. »Wir wollen ein Abkommen treffen«, sagte sie wie mit einem Ruck. »Wenn du künftig zu deinem – deinem richtigen Vater gehen willst, dann kannst du es jederzeit. Einverstanden?«
    »Ja – natürlich, Mutti, aber …«, erwiderte Petra, überwältigt von soviel Großzügigkeit.
    »Ich habe nur eine Bedingung: daß du es offen sagst.«
    »Ja«, antwortete Petra leise.
    »Du wunderst dich sicher, warum ich früher nicht so – so vernünftig sein konnte«, fuhr Bettina fort, mechanisch Petras Haar streichelnd. »Du mußt das verstehen. Martin trat ganz plötzlich in unser Leben – von einer Stunde auf die andere, brutal – und, wie es mir schien, grundlos. Für dich war er vielleicht ein Prinz. Auf mich wirkte er – verzeih bitte – wie eine Belästigung. Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst«, sagte die Mutter mit einem verlorenen Lächeln, »daß auch du einmal sehr gegen ihn warst.«
    »Bevor ich ihn kannte.«
    »Gut«, fuhr Bettina fort, »du bist mit wehenden Fahnen zu ihm übergelaufen – für mich schmerzlich, wenn auch verständlich.« Ihr Gesicht wirkte traurig, verwundet von der Erinnerung. »Er hat eben diesen verdammten Ritt-Charme.«
    »Den hat er«, entgegnete Petra

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