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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Zweisamkeit, tranken schweren Rotwein hinterher, der ihre Gesten bedächtiger und ihre Worte würdiger machte. Martin berichtete aus New York. Er vermied es, Susanne oder Felix zu erwähnen, und da es konsequent geschah, erfaßte Eva, daß es nicht zufällig sein konnte. Sie setzte noch immer darauf, daß Martin durch den Übermut nur seinen Kummer überspielte, denn sie wollte nicht, daß er so rasch vergessen konnte.
    »Wie geht es eigentlich Susanne?« stellte sie ihn mitten im Gespräch.
    »Gut«, antwortete er, beugte sich nach vorn und richtete die Buchenscheite im Kamin. Eva sah, wie sich die Lippen fest und schroff aufeinander legten. »Sie hat sich eingelebt«, sagte er beiläufig. Er wandte sich ihr zu. »Für Felix war der Krieg nie zu Ende. Für ihn gab es nicht einmal einen Scheinfrieden. Es war, als sei er mit einer Kugel im Leib herumgelaufen, die tödlich werden mußte, sobald sie wanderte. Er wußte es«, fuhr Martin fort, »Susanne wußte es, ich wußte es – und wir alle haben nach einem Arzt gesucht, der ihm den gefährlichen Bleiklumpen aus dem Körper schneiden könnte. Vergeblich!«
    Martins Gesicht verschob sich, wirkte ungleich, schief. »In der Gewöhnung der Jahre haben wir uns selbst eingeredet – und schließlich daran geglaubt, daß ein totes Geschoß nicht mehr morden könne.« Er wandte sich wieder von Eva ab. »Es war ein Verhängnis, jeder von uns hat versagt, und keiner ist daran schuld, am wenigsten Felix, dieser vorläufig letzte Tote eines schmutzigen Krieges.«
    Martin stand auf. »Du wirst mich nicht verstehen.« Er beugte sich zu Eva hinab. »Hoffentlich nicht.«
    »Hoffentlich doch«, erwiderte sie ruhig.
    Er lief hin und her. »Da sitzen wir nun am Londoner Kamin, haben es herrlich, und ich rede von diesen alten Geschichten.« Seine Schritte wurden heftiger, seine Worte ruhiger. »Du mußt entschuldigen, Eva, aber ich hatte keinen Menschen, mit dem ich über Felix sprechen konnte – oder wollte.« Er blieb stehen. »Ich warne dich«, setzte er hinzu, »wenn du mich jetzt nicht aufhältst, wird aus diesem Sermon ein Nekrolog und aus unserem Abend …«
    »Sprich weiter«, bat Eva leise.
    »Weißt du, wir waren Freunde«, sagte er, »das ist ein mißbrauchter, abgenutzter Begriff …« Er stieß mit dem Fuß gegen einen Sessel, der im Wege stand, ohne es gewahr zu werden. »Aber wir waren Freunde, von je – und grundverschieden. Felix war der Sensible und ich der Primitive. Er hatte diesen dummen Drang, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen, und ich die praktische Veranlagung, sie zu nehmen, wie sie waren.« Martin lachte ungut. »Die wilden Jahre wurden nicht für die Zarten gemacht, und so war Felix wie geschaffen dafür, zwischen Kontinenten, Rassen, Völkern, Sprachen und Konfessionen zugrunde zu gehen: einer, der noch selbst mithilft, statt auf seine Feinde loszugehen.«
    »Das Gegenteil von dir.«
    »Richtig – und damit komme ich zum Schluß meiner miserablen Grabrede, Eva. Ich habe rechtzeitig gelernt, mich mit dem Rücken zur Wand zu stellen. Felix bot sich immer ohne Deckung dar, ohne sich überhaupt umzudrehen, wenn er von hinten überfallen wurde. Er hatte mir den besseren Charakter voraus, die umfassendere Bildung, eine ausgeprägte Menschlichkeit und sein übertriebenes Gewissen. Er war in allem größer, klüger und liebenswerter als ich.«
    Eva merkte gebannt, daß es wie ein Tadel klang, wenn er sich rühmte, und wie ein Lob, wenn er sich ausschalt. »Aber etwas hatten wir meistens gemeinsam: die gleichen Feinde – wenn auch verschiedene Methoden, ihnen zu begegnen. So war ich zum Überleben ausersehen und er zum langsamen Verbluten. Preisfrage«, schloß Martin ab, »wer hatte recht?«
    Ein Holzscheit fiel im Kamin nach unten, eine Stichflamme fuhr hoch, und Eva sah, daß das Visier über dem letzten Ritt-Gesicht hochging, das schutzlos vor ihr lag, ausgepreßt von der Passion: schmal, leer, fahl, frei – eines Mannes Gesicht, des Mannes, den sie liebte.
    »Ich behielt recht«, gab sich Martin selbst die Antwort, »aber ich habe keine Freude daran. Verstehst du? Während Felix als Gymnasiast von Hölderlin schwärmte, trieb ich es schon mit verheirateten Frauen. Während er für die Umerziehung der Deutschen arbeitete, bewährte ich mich als Schieber. Als er sich danach mit europäischer Geschichte befaßte, machte ich meine ersten Millionen; und als er in Frankfurt vor die Hunde ging, war ich mit einer Frau in Rom.«
    Martin stand vor ihr,

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