Die wilden Jahre
überzeugt.
Bettina stand auf und sah durch das Fenster, als müsse sie verbergen, wie sehr das Gespräch sie mitnahm. Sie setzte mit tiefer Stimme hinzu: »Und nun wollen wir das Thema ein für allemal lassen. Ja?«
»Warum seid ihr damals eigentlich auseinandergegangen?« fragte Petra schnell.
Bettina schwieg, wie aufgewühlt von Erinnerungen. Während sie dastand, starr wie eine Statue, war ihr Bewußtsein angespannt, denn sie näherte sich der Klippe einer Frage, auf die sie keine Antwort wußte und von der es abhängen konnte, wie sehr ihr das Kind entfremdet wurde.
»Du schweigst dich also auch aus?«
»Wieso?« fragte die Mutter, scheinbar zerstreut.
»Ich möchte wissen, warum ihr euch damals getrennt habt.«
»Warum?« fragte Bettina wie ein Echo. »Das weißt du nicht?«
»Nein.«
»Versagen«, antwortete sie mit schleppender Stimme, »reines Versagen.«
»Von wem?«
Bettina gab keine Antwort.
»Von ihm?« drängte Petra. »Von dir?«
»Von beiden.«
»Von dir auch?«
»Auch von mir«, sagte Bettina, ihre Antwort mit einem Lächeln begleitend.
»Dann hättet ihr euch ja nicht viel vorzuwerfen.«
»Eigentlich nicht. Im Grunde war es nicht schlimm. Dein Vater und ich – wir waren jung, begegneten uns vielleicht zu früh – und dieser schreckliche Krieg, bei dem man nicht wußte, ob man den nächsten Tag erlebte – ein Mißverständnis, alberne Briefe, eine lange Trennung – wie das so geht; auf einmal war der Bruch da, so zufällig und unwiderruflich, daß ich heute, aus dem Abstand von eineinhalb Jahrzehnten, bereits darüber nachdenken muß, warum er eigentlich … Du wirst das nicht verstehen, aber …«
»Doch«, versicherte Petra, »das schon, aber ich begreife einfach nicht, warum man einer verjährten Sache so unversöhnlich …«
»Unvernünftig«, erwiderte Bettina, »wäre vielleicht das bessere Wort.« Sie setzte sich Petra gegenüber, wartete, bis das Kind sie ansah. »Die Zeiten waren schlimm. Ich stand ganz allein, das heißt – dich hatte ich natürlich, aber du warst winzig, ein hilfloses Etwas. Wir hatten Hunger, und die Bomben fielen, jeder dachte an sich, versuchte durchzukommen. Ich war eine alleinstehende Frau, nicht ganz gesund, unterernährt, in ständiger Sorge um mein Kind. Da lernte ich einen Menschen kennen, der mir half, und der …« Sie richtete sich auf, und ihr Gesicht schien wie aus der Trance zurückzukehren, die statuenhafte Blässe verlierend. »Es war Heinrich.« Sie betrachtete Petra, deren Gesicht offen war, klar wie ein Spiegel, aus dem sie Ritt ansah: seine Augen, seine Nase, sein Mund. Auch sein nihilistischer Stolz, dachte Bettina, der sich die angebliche Ritterlichkeit erlaubt, eine Situation nicht auszunutzen, eine Begebenheit zu verschweigen, um dadurch nur mit späterer Enthüllung zu drohen.
Sie hatte sich in der Gewalt; auch ihrer Stimme war nicht anzumerken, daß der Haß ihren Kopf zusammenpreßte wie ein eiserner Ring. »Als Mann muß Heinrich natürlich neben deinem – richtigen Vater verblassen.«
Petra blickte überrascht auf, betrachtete die Mutter, die ihr gegenübersaß, damenhaft, grazil.
»Du bist schuld«, fuhr Bettina mit einem Lächeln fort, »wenn ich jetzt etwas Schreckliches ausspreche.« Sie sah auf den Teppich, als störe sie sein Muster, während ihre Hände den Rock glattstrichen. »Ich habe Heinrich niemals so geliebt wie – Martin.« Ihre Stimme war zu hoch.
Sie betrachtete die Tochter, zog sie an sich, schüttelte sie freundschaftlich. »Mein Gott, was bin ich für eine Klatschbase! Schneide bitte kein so unglückliches Gesicht. Weiß gar nicht, wie ich dazukomme, so …«
»Schon gut, Mutti«, erwiderte Petra zerknirscht, »daran habe ich eigentlich nie richtig … Es tut mir leid. Ich glaube, ich muß dir – und auch Heinrich …«
»Schluß!«
»… einiges abbitten.«
»Das wirst du lassen!« entgegnete Bettina burschikos. »Das bleibt unser kleines Geheimnis.« Sie hielt ihre Tochter gestreckt von sich, sie weder aus den Armen noch aus den Augen lassend. »Nur eine Bitte: Kränke ihn künftig nicht mehr als unbedingt nötig. Versprichst du mir das?«
»Ja, Mutti.« Petras Stimme klang kläglich, kindlich.
»Für ihn warst du seine Tochter – bis Martin kam. Nie hättest du erfahren, daß er nur dein Stiefvater ist, wenn nicht …«
»Ja, Mutti.«
»Daß Heinrich nicht gut auf Martin zu sprechen ist, brauche ich dir wohl nicht erst zu erklären.«
»Nein.«
»… daß es
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