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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Schlüssel brach ab. Der dicke Amerikaner fluchte, riß den morschen Holzladen auf, schwang sich auf den Sims, trat mit dem Gummistiefel die Scheibe ein, setzte das Käppi nach hinten, grinste und sagte:
    »All right – go in!«
    Spinnweben streiften Martins Gesicht. Verbrauchte Luft schlug ihm entgegen. Er kam sich, als er das zwecklose Asyl seines Vaters betrat, wie ein Grabräuber vor. Er riß die anderen Fenster auf. Das Licht fiel auf eine dicke Staubschicht, mit der die Zeit den Raum gepudert hatte. Langsam vertrieb der Luftzug den Geruch von Holz, Nässe und Fäulnis.
    Martin wollte nicht an seinen Vater denken, aber er spürte unwillkürlich die Angst und die Einsamkeit, die der alte Mann erlebt haben mußte. Er hat, so dachte Martin, gefehlt und gebüßt – mehr gebüßt als andere, die unbehelligt blieben –, und diese glatte Rechnung erlaubt es mir, mich mit ihm auszusöhnen.
    Martin sah sich um und spürte beim ersten persönlichen Kontakt, den er seit vielen langen Jahren mit der Welt seines Vaters hatte, Mitleid.
    Er schüttelte es ab und begann, die Schränke und Truhen zu durchsuchen. Er fand Anzüge, deren Hosen und Ärmel ihm zu kurz und deren Jacken ihm zu weit waren. Gutes Material, das man ändern konnte, aber Martin faßte die Kleidungsstücke mit spitzen Fingern an. Zwischen den Socken stieß er auf das Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz und steckte es lächelnd für Guido ein, der für dieses seltene Ehrenzeichen mindestens hundert Zigaretten herausschlagen würde.
    Die Ausbeute war schmal. Martin hatte es nicht anders erwartet. Er war auch nur gekommen, weil Felix es vorgeschlagen hatte. Er war Überlebender und wollte nicht mehr nach hinten sehen.
    Auch das Bücherregal versprach wenig. Brehms Tierleben hielt sich noch aufrecht; die Germanischem Heldensagen waren schräg abgerutscht, und Grimms Volk ohne Raum lag mit dem Gesicht im Staub, umrahmt von Kriminalromanen.
    Hinter der Badezimmertür hing ein schwarzes Nylonneglige, das vermutlich der Gefährtin des derzeitigen Hausherrn gehörte. Martin ging weiter in den Keller, stieß auf leere Wein- und Kognakflaschen, auf weggeworfene Schuhe mit defekten Absätzen und ein Radiogerät, Marke Volksempfänger, das bei der letzten Party in Stücke gegangen war.
    Schließlich ging die Rechnung dieses Tages auf: Martin hatte keinen Nachlaß erwartet und auch keinen vorgefunden. Er nahm zwei getragene Anzüge unter den Arm und pfiff vor sich hin, wollte durch die Tür, merkte, daß er den Weg durch das Fenster nehmen mußte, und stieß an einen Stuhl, der gegen die holzverkleidete Wand polterte. Er setzte das Kleiderbündel ab, und während er den Stuhl aufhob, sah er zum zweitenmal den Riß über einer Ausbuchtung der Holzvertäfelung, betrachtete ihn genau und erfaßte, daß in einem Hohlraum etwas versteckt war.
    Er nahm ein Streichholz, leuchtete hinein und sah ein Bündel Akten. Bevor er sie durchsah, wußte er schon, daß er auf das Fluchtgepäck seines Vaters gestoßen war.
    Er fand im ersten Ordner einen ganzen Block Reisemarken, die ungültig waren. Ein dickes Bündel Geldscheine fiel zu Boden, Papiermark, die noch zählte. Er schob sie so achtlos in die Tasche wie das Ehrenzeichen, schaute in den zweiten Ordner und stieß auf geballten Unrat des braunen Systems: Intrigen, Verleumdungen, Verdächtigungen; Momentaufnahmen aus dem Dritten Reich, der Gemeinschaft von Erpressern und Erpreßten.
    Als er diesen Abfall auf den Müllhaufen werfen wollte, stieß er auf den Namen Kahn.
    Er kannte vier Kahns, und am besten von ihnen Lydia, die Tochter, eine dunkelhaarige, hochbeinige Zwanzigjährige mit schelmischen Augen und einer kecken Figur, das Gegenteil ihres Zwillingsbruders Jakob, der verschlossen und ernst wie sein Vater war und seine Jugend vergessen hatte.
    Martin sah Lydia vor sich, im Weiß des plissierten Tennisrocks, das ihre Beine noch gebräunter wirken ließ. Sie flirtete lebhaft herum, ohne sich festzulegen. Ihre großen dunklen Augen mußten viel Trauriges ansehen, aber sie blieben lustig bis zuletzt. Lydia machte in schwerer Zeit ihren Eltern das Leben leichter und einigen ihrer Hasser die Verfolgung schwerer. Sie lächelte die Braunhemden sorglos an, lachte sie aus, und liebte es – wenigstens in der ersten Zeit –, die Augen singender Kolonnen auf sich zu ziehen, obwohl der Vorbeimarsch auf der anderen Seite abgenommen wurde.
    Lydia leugnete die Gegenwart, verlachte die Zeit und spielte mit Martin Tennis, solange man

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