Die wilden Jahre
IG-Farben-Hochhaus setzte ihn der Fahrer ab. Martin bedankte sich. Der Soldat grüßte flüchtig. Martin griff mechanisch in die Tasche, stieß auf das Geldbündel, reichte es dem GI, der verwundert und beleidigt den Kopf schüttelte.
Martin schleuderte das Geld in den Jeep und ging mit raschen Schritten in das Haus.
»Nuts!« rief ihm der Fahrer nach, tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und sammelte die Papierscheine ein.
Der Major mit dem schmalen klugen Pferdekopf hatte Martin schon erwartet, stand auf und begrüßte ihn lebhaft.
»Felix hat angerufen«, sagte er, »es ist alles okay, er schickt Ihnen morgen einen Wagen, und Sie können sofort nach München übersiedeln.«
»Danke«, antwortete Martin zerstreut.
»Haben Sie – da draußen – etwas Brauchbares für sich gefunden?«
»Ja.«
Der US-Major merkte, daß Martin nicht sprechen wollte, und griff zu dem Mittel, mit dem man im Jahre 1947 alle deutsch-amerikanischen Verlegenheiten überbrücken konnte: er bot ihm eine Zigarette an.
Sie rauchten schweigend.
Auf dem Gang pfiff einer einen Gassenhauer. Ein paar Soldaten schienen Football zu spielen, polterten gegen die Türen. Mädchen lachten und schäkerten in einem buntsprachigen Kauderwelsch. Es ging auf Dienstschluß zu, und die Menschen in dem weiträumigen Gebäude freuten sich auf ihre Freizeit.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« fragte der Pferdekopf.
Martin zögerte, dachte nach: es war keine Zeit zu verlieren.
»Vielleicht«, antwortete er gedehnt. »In dieser Stadt – bei der früheren Gauleitung – gab es einen Nazi namens Silbermann …«
»Vorname?« fragte der Major und griff nach einem Zettel.
»Egon.«
»Gut«, entgegnete der Offizier, »wenn der Bursche nicht aufgehängt wurde oder inzwischen untergetaucht ist, werden wir ihn gleich haben.«
Er drückte auf einen Klingelknopf, übergab der Sekretärin den Zettel, klopfte Martin auf die Schulter und setzte hinzu: »Und bis dahin nehmen wir einen Drink …«
Sie gingen in die kleine Offiziersbar im Haus und tranken Whisky. Der Major, der Martins düstere Stimmung aus eigenen Erlebnissen kannte, stellte keine Fragen.
Schon nach dem dritten Glas wurde der Offizier an das Telefon gerufen, und noch während des Gesprächs drehte er sich zu Martin um und sagte: »Wir haben ihn.«
Er warf dem Kellner Script-Dollars auf die Theke und zog Martin vom Hocker.
Die Sekretärin hatte bereits die Unterlagen auf den Schreibtisch des Majors gelegt; er überflog sie.
»Was wollen Sie von dem Mann?« fragte er betont leicht.
»Eine Auskunft.«
»Er ist interniert«, sagte das Pferdegesicht. »Es liegt einiges gegen ihn vor. Er geht übrigens bald in deutschen Gewahrsam über.«
»Kann ich ihn sprechen?« fragte Martin.
»Sicher«, erwiderte der Offizier, »aber das ist wieder eine so umständliche Sache.« Er las weiter. Seine Lippen öffneten sich zu einem Riß des Spotts. »Übrigens«, fuhr er fort, »ist Silbermann mit einer Fuhre anderer Nazis für den Weltkongreß der Moral Rearmament ausersehen.«
»Moralische Aufrüstung? Was ist das?« fragte Martin.
»Eine Mischung von guter Absicht und schlechtem Geschmack«, antwortete der Major. Er lächelte mit geschlossenen Lippen. »Mit dem Hauptsitz in Caux.«
»Ihr sperrt ein ganzes Volk ein«, entgegnete Martin leise, »und laßt Nazis in die Schweiz reisen?«
»Nicht etwa nur Nazis«, erwiderte das Pferdegesicht und griff nach seinem Lineal, »die Militärregierung unterstützt alles, was der deutschen Umerziehung dienlich sein könnte.« Er grinste breit. »Auch das.«
»Gilt das auch für mich?« fragte Martin.
Der Offizier betrachtete ihn gelassen, schob das Lineal weg. »Haben Sie es nötig?«
»Wer nicht?«
Der Pferdekopf sah verblüfft zu Martin, nickte dann:
»Alle Achtung, Ritt, Sie schalten rasch.« Er legte die Beine auf den Tisch, lehnte sich zurück. »Es ist kein Vergnügen: Sammelpaß, Sammeltransport, bescheidenes Essen, niedere Arbeiten und fromme Reden … Wenn Sie das wollen?«
»Ich will«, antwortete Martin.
Der Major ging auf sein Vorzimmer zu, riß die Tür weit auf.
»Stell fest, Margot, ob in Caux noch ein Platz für einen dringenden Fall frei ist. Wenn nicht, streiche einen Mann von der Liste und trag den Namen Ritt ein. Sollte es Schwierigkeiten geben …« Er schloß die Tür und betrachtete Martin mit forschendem Blick.
»Machen Sie sich ein paar schöne Tage in der Schweiz«, sagte er ruhig, »aber lassen Sie von
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