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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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sie noch auf den Platz ließ. Sie glich ihrer Mutter und hatte wenig vom Vater, einem Ingenieur, der auf ein halbes Dutzend Erfindungen Patente besaß; diese waren seine Einlage der Werke Lessing & Kahn, die sich mit Metallveredelung befaßten.
    Lessing, der Vater von Felix, war der Kopf des Unternehmens; Kahn, sein Teilhaber, die Hand, deren Geschick auch während der wirtschaftlichen Depression der dreißiger Jahre der Fabrik die Vollbeschäftigung bewahrt hatte. Dann kam die Rüstung – allerdings unter neuer Leitung.
    Unvermittelt schwand vor Martin das Bild eines lustig flatternden Tennisrocks. Die Buchstaben kreiselten wie Insektenschwärme. Der Schriftwechsel in seiner Hand wog schwer: Aus den vergilbten Blättern schlug ihm Blutgeruch entgegen. Er zwang sich zum Lesen, versuchte, die pedantisch nach Daten geordnete, durch Briefe und unterschriebene Notizen belegte Ungeheuerlichkeit zu begreifen.
    4. März 1941:
    Frederic Panetzky, Inhaber einer Import-Export-Firma in Zürich, Talstraße, läßt durch Kurier unter Berufung auf die alte Geschäftsverbindung Friedrich Wilhelm Ritt einen vertraulichen Brief überreichen, in dem er anfragt, ob die vierköpfige Familie Kahn noch am Leben sei und ob eine Möglichkeit bestünde, ihr zur Auswanderung zu verhelfen. »Ich bin ermächtigt«, heißt es, »in einem solchen Fall im Namen amerikanischer Verwandter der Kahns, die in Philadelphia, Pennsylvania, leben, ein lukratives Angebot (in Dollars) zu machen. Die Summe, deren genaue Höhe noch auszuhandeln ist und die zur Begleichung der Unkosten usw. dienen soll, würde bei einer Zürcher Privatbank hinterlegt und nach dem Eintreffen der Auswanderer in der Schweiz ohne jede Nachfrage und auch ohne jedes Risiko an mich zwecks Weiterleitung ausgehändigt.«
    5. März 1941:
    Friedrich Wilhelm Ritt erkundigt sich bei einem alten Korpsbruder, Z. Zt. Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt, Berlin, Prinz-Albrecht-Straße, ob ihm ein Frederic Panetzky, Zürich, usw. bekannt sei.
    6. März 1941:
    Gaufachschaftsleiter Egon Silbermann teilt ›dem alten Kameraden Ritt‹ auf Anfrage mit, daß die Juden Kahn, Vater, Mutter, Sohn und Tochter zur Zeit in einem Arbeitslager auf ihren Transport in den Osten warteten, der spätestens in einigen Wochen erfolge. »Zwar habe ich seit meiner Rückkehr von der Frontbewährung mit diesen SD-Aktionen nichts mehr zu tun, aber ich könnte immerhin aufgrund alter Beziehungen unter Umständen eingreifen. Wenn Du mir also rechtzeitig mitteilst, was mit diesen Juden geschehen soll, werde ich versuchen, Deine Wünsche entsprechend berücksichtigen zu lassen.«
    7. März 1941:
    Sturmbannführer K. vom RSHA teilt Friedrich Wilhelm Ritt ›streng vertraulich‹ mit, daß es sich bei Fritz Panetzky um einen Rein-Arier handle, der zur Zeit der k.u.k. Monarchie in Lemberg geboren wurde, es aber 1918 abgelehnt habe, Pole zu werden. »Später schlug sich der Mann als Staatenloser nach Deutschland durch und stellte ein Gesuch auf Einbürgerung. Bei der Überprüfung dieses Antrages kam er mit einer Dienststelle in Berührung, die ich im Reichsinteresse selbst Dir gegenüber nicht näher benennen kann. Panetzky übersiedelte dann nach Zürich, und gründete dort eine Firma; er hat sich offensichtlich bei vielen Aufträgen sehr bewährt. Obwohl er vom Endsieg des Führers überzeugt ist, würde ich ihm mit einer gewissen Vorsicht begegnen.«
    9. März 1941:
    Aktennotiz über eine Auslandsreise in die Schweiz:
    »Sodann teilte ich Panetzky bei einer persönlichen Unterredung mit, daß ich mich für die Auswanderung der mir persönlich bekannten Familie Kahn verwenden würde, falls Pg. Silbermann von der Gauleitung keine Bedenken äußere und das Reich die für seinen Schicksalskampf so nötigen Devisen erhielte. Ich schlug vor, daß die amerikanischen Verwandten der Juden pro Kopf der Auswanderer fünfundzwanzigtausend Dollar, insgesamt also hunderttausend Dollar, hinterlegen sollten, die später auf noch festzulegende Weise der Deutschen Reichsbank …«
    2. April 1941:
    Panetzky läßt in einem Brief aus Zürich wissen, daß die amerikanischen Verwandten der Kahns mit der Abwicklung ›der Sache‹ zwar grundsätzlich einverstanden seien, aber angeblich hunderttausend Dollar nicht aufbringen könnten und die Hälfte dieser Summe vorschlügen, die sofort überwiesen würde. » Trotzdem erscheint mir dieser Betrag zu gering, zumal ich weiß, daß es sich bei den Verwandten um steinreiche Leute handelt.

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