Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
diesem Silbermann für uns noch etwas übrig.« Er deutete auf das Dossier auf seinem Schreibtisch. »Könnte sein, daß wir ihn noch …«
    Stehend und stumm tranken sie lauwarmen Whisky auf die seltsame Reise.

XIV
    Die Nacht war dunkel und einsam. Der Wind balgte mit den Ruinen und rüttelte an kranken Häusern, in denen geliebt und gestritten, gehungert und gelogen, geweint und gebetet wurde. Die Militärregierung hatte die Sperrstunde längst abgeschafft, aber die meisten Bewohner der Isarstadt blieben daheim, als stünden sie noch weiter unter Hausarrest. Wenn sie aus den Fenstern sahen, die in pockennarbigen, leprakranken Fassaden steckten, stülpte sich die Dunkelheit über ihre Köpfe wie eine Augenbinde, und sie standen wieder am Pfahl, um von der Zeit gemartert zu werden.
    Martin hatte München am Abend erreicht, von Felix ungeduldig erwartet. Susanne war bei ihm in der Wohnung. Der Freund versuchte, in gewundenen verlegenen Worten mitzuteilen und zu verheimlichen, wie er mit dem Mädchen Susanne stand. Martin wußte es längst.
    Felix erzählte von Amerika, Martin von Rußland, und Susanne hörte zu, als die beiden sich auf Umwegen an die Gegenwart herantasteten. Die Freunde gaben sich unbefangen, standen aber zu weit auseinander, um sich ihrer Worte nicht versehen zu müssen.
    »Du fährst in die Schweiz?« fragte Felix, der von dem Major mit dem Pferdekopf unterrichtet worden war. »Frische Luft wird dir nicht schaden.« Er goß den Schnaps nach. »Und was hast du sonst vor?«
    »Wenig«, antwortete Martin, »zunächst muß ich ein paar persönliche Dinge erledigen.« Er versuchte, beiläufig zu sprechen, aber er merkte an Susannes Blick, daß sie die Schärfe seiner Worte gehört hatte. »Und dann will ich leben«, fuhr er fort, »und das heißt: nicht mehr hungern, nicht mehr frieren, nicht mehr lügen, nicht mehr strammstehen …«
    »Ein umfassendes Programm«, entgegnete Felix, »und gar nicht so weit entfernt von den Zielen der Militärregierung. Kann ich dich vielleicht als Mitarbeiter gewinnen?«
    »Was machst du eigentlich?« fragte Martin ausweichend.
    »Ich bin eine Art Zeitungskönig, einer von denen, die Journalisten und Verleger vom Fließband liefern.«
    »Sorgen?«
    »Es geht«, antwortete Felix. »Die Auswahl ist beschränkt.«
    Der Captain hatte einen langen Tag hinter sich. Er sah müde aus, abgespannt. Während des Gesprächs platzten Telefonanrufe in den Raum wie kleine Explosionen. Der Ärger war ein unerwünschter Gast, der nicht weichen wollte.
    Felix sprach ironisch über seine Arbeit als ›Umerzieher‹, aber Martin erfaßte, daß er sie weit ernster nahm, als er zugeben wollte. Hinter dem Spott stand die Angst, eine Aufgabe nicht bewältigen zu können, die er sich vorwiegend selbst gestellt hatte.
    »Ich verbeiße mich in diesen verfluchten Job«, sagte er, »und weiß nicht, warum. Ich suche – Brauchbares –, aber was nützt es? Die Ziele dieser Militärregierung sind sicher gut – schlecht ist nur die Willkür, mit der sie vielfach in der Praxis …« Felix griff nach dem Glas, trank zuviel und zu schnell. Martin sah es an seinen fahrigen Gesten, sah es auf Susannes besorgtem Gesicht.
    »Warum nimmst du nur alles so schwer?« unterbrach ihn Martin.
    »Wer sagt dir, daß ich es schwernehme?« fuhr ihn der Captain an. »Aber wo finde ich die richtigen Leute für die Re-Education? Zwangsläufig sind viele Schlüsselpositionen der Militärregierung mit gebürtigen Deutschen besetzt, die Distanz zu den Deutschen halten sollen …«
    Wieder klingelte das Telefon. Felix führte eine gereizte Unterhaltung auf Englisch, versuchte wiederholt, sie abzukürzen, womit der Mann am anderen Ende des Drahtes nicht einverstanden war.
    »Ich bin froh, daß Sie sich künftig um ihn kümmern werden«, sagte Susanne zu Martin. Sie versuchte zu lächeln, aber ihre steifen Lippen widersetzten sich. Es sah kläglich und traurig aus, und Martin wunderte sich, wie klar und offen dieses Mädchen war.
    »Bitte«, setzte sie hinzu, »ich weiß – ich sollte nicht –, aber er hängt an Ihnen, er klammert sich an Sie …«
    »Was gibt's, Susanne?« fragte Martin leise.
    »Er darf nicht soviel trinken! Er ist richtig krank. Bitte – sorgen Sie dafür, daß er …«
    Felix legte den Hörer mit zorniger Bewegung auf und kam zurück.
    »Für heute habe ich genug dumme Gespräche mit fleißigen Hohlköpfen geführt«, sagte er und schlug vor, auszugehen.
    Sie setzten Susanne, die nach Hause

Weitere Kostenlose Bücher