Die wilden Jahre
wollte, ab; bevor sie im Haus verschwand, suchten ihre Augen kindlich bittend, fraulich prüfend noch einmal Martin.
Sie fuhren in den Offiziersclub, einen umgebauten Luftschutzkeller, der so zwecklos auf Luxus drapiert war wie eine verblühte Frau auf Jugend. Vor dem Gebäude stand eine Horde Halbwüchsiger und lauerte auf Zigarettenkippen. Die Jungen trugen fast alle noch kurze Hosen, manche hatten alte, wissende Gesichter.
Hungrige strichen um das Haus herum und sättigten sich an den Küchendüften. Ein Lokal, in dem es alles gab, in einer Stadt, in der alles fehlte, überforderte die Phantasie und die Magennerven der Passanten.
Neben dem Eingang hingen verstaubte Spiegel; schlechtgefärbte Armeedecken verhüllten die Risse an den Wänden.
Eine Fünf-Mann-Band spielte, dezent und rhythmisch, aktuelle Schlager; man hörte sie nicht, wenn man sprach, und sie störten auch nicht, wenn man schwieg. Später erschienen die Offiziere mit ihren deutschen girlfriends; der Abend begann, laut und töricht zu werden.
Felix sah angewidert auf ein paar betrunkene Offiziere, die mit grellbunten scheinschönen Mädchen auf dem Parkett Bocksprünge der Lebenslust vollbrachten. Er wollte sich ärgern und nutzte jeden Vorwand. Immer mehr Babbitts mit roten Gesichtern, so schien es ihm, drängten herein, Familienväter mit Kugelbäuchen zogen ihre Veronikas, Eintagsfliegen für Zweibettzimmer, hinter sich her.
»Schau dir diese Kerle an!« schimpfte Felix. »Tagsüber reden sie von Moral wie Heiratsschwindler von der Ehe – und nachts riechen sie nach Ehebruch. Sie gehören zum Troß der Sieger und leben hier als sexuelle Kriegsgewinnler – Kunststück, sie wollen nicht nach dem Mittelwesten zurück, zu Konservenfraß, Lockenwicklern und Wohltätigkeit. Sie möchten nicht nach Hause, wo sie von ihren Kindern geneppt und von ihren Frauen schikaniert werden …«
Er rief den Kellner, der abwartend im Hintergrund stand.
»Dabei kannte ich großartige Burschen, auf die man sich verlassen konnte im Krieg – prächtige Kerle, die sich vielleicht belügen, aber durch nichts bestechen ließen. Aber sie haben ihren Krieg gewonnen und wollten diese verdammte Uniform ausziehen …«
»Warum machst du es nicht auch so?« fragte Martin.
»Wo soll ich hin?« erwiderte Felix bitter. »Zurück in die Staaten? Highlife im Mittelwesten?« Seine Gesichtshaut spannte sich. »Oder soll ich hierbleiben und warten, bis der nächste Pogrom auf dem Programm steht?«
»Vor allem sollst du Schluß machen mit dieser blöden Sauferei!« versetzte Martin.
»Sie hat also –«, entgegnete Felix wütend. »Susanne hat …«
Martin schwieg.
»Nimm sie!«
»Laß das!« versetzte Martin barsch. »Warum betrinkst du dich ständig? Warum?«
Felix griff mit ruckartiger Geste zur Flasche. Seine Pupillen waren unnatürlich groß und hatten rote Ränder.
»Ich bin kein Puritaner«, fuhr Martin fort, »und es ist sicher ganz falsch, daß ich mit dir jetzt darüber spreche.«
»Dann hör auf damit!« erwiderte Felix und schenkte sich nach. »Ich brauche keine Gouvernante. Ich paß' auf mich selbst auf! Verstanden?«
Martin schwieg.
»Sicher habe ich zuviel Ärger; sicher brauche ich eine Medizin dagegen. Sicher trinke ich zuviel. Sicher ist das falsch; aber sicher geht das niemanden etwas an – außer mich …« In seinem Gesicht schwammen Zorn und Alkohol. »Am wenigsten Susanne …«
»Sie sorgt sich um dich – weil sie dich mag«, sagte Martin.
»Und wenn schon …!«
»Du machst dir nichts daraus?«
»Weniger jedenfalls, als du annimmst«, antwortete Felix.
Martin sah zu den tanzenden Veronikas hin. Der Freund folgte seinen Augen und wußte, daß ihm der Unterschied gezeigt werden sollte.
»Schau sie dir an«, sagte Martin, »und vergleiche sie mit Susanne …«
»Bin ich blind?« fragte Felix gereizt.
»Was hat sie wohl von dir? Schenkst du ihr Schokolade, Zigaretten? Nimmt sie Geld? Hast du ihrem Vater vor der Spruchkammer geholfen oder ihrem Bruder mit Lebensmitteln?«
Die Backenmuskeln des Freundes spannten sich.
»Sie hat dich also auch schon …?«
»Sie hat«, entgegnete Martin.
Sie lachten beide.
»Trinken wir auf sie!« sagte Martin. »Ich bin ein schlechter Aufpasser – wenigstens heute …«
Felix wurde ernsthaft, er erzählte, wie er in Amerika aus Ungeduld mit dem Trinken begonnen hatte, wie er mit dem Haß und für den Haß gelebt und wie er in dem zerschlagenen Deutschland wider Willen die alte Heimat
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