Die wilden Jahre
zu.
Sie trugen den Bewußtlosen in den Nebenraum, legten ihn auf ein Sofa nieder. Mit jedem Herzschlag schoß neues Blut aus der Wunde. Martin, vom Krieg als Feldscher ausgebildet, spürte instinktiv, daß von der Stirnverletzung nicht die Gefahr kam, in der der Freund schwebte. Er redete ihm verzweifelt zu, aber er sah nur in das entstellte Gesicht eines Menschen, der aussah wie ein Toter des Straßenverkehrs.
Ein Uniformierter drängte Martin beiseite, ein US-Captain mit Äskulapstab am Kragenspiegel. Er suchte den Puls, schüttelte den Kopf, schob die Augenlider des Patienten noch weiter nach oben, hielt den Spiegel vor seinen offenen Mund, sah, daß er matt anlief.
Captain Snyder wirkte zugleich wütend und besorgt; er war Dozent an der Princeton-Universität und zur Zeit Chefarzt eines Militärhospitals, ein kleiner, wendiger Mann mit grauen Haaren und jungen Augen; er trug den ›Silver Star‹.
»Call a car!« rief er einem Sergeanten zu, ohne den Blick von dem Patienten zu wenden, »make it snappy!«
»Sir«, versuchte Martin den Arzt anzusprechen, » i s he very bad?«
»Wer sind Sie?« fragte der Captain in fließendem Deutsch; er musterte Martin unfreundlich.
»Ein Freund von Captain Lessing.«
»Ein Freund?« wiederholte der Arzt. »Sieht zu, wie sich Felix zu Tode säuft? Verschwinden Sie!«
Sie hoben Felix auf eine Bahre, Felix, der nichts sagte, sich nicht rührte, der noch immer die Augen offen hatte und vielleicht schon in der Agonie schwebte.
Martin stand lange vor dem US-Hospital. In der ersten Blässe des grauenden Morgens begriff er schließlich, übermüdet und ernüchtert, daß ihn die Posten der Militärpolizei nicht einlassen würden.
Vier Tage später lag der Patient schmal und ärmlich auf dem Feldbett, das weiß bezogen war und von dem sein Gesicht fahlgelb abstach. Sein linkes Auge war durch einen Mullverband verdeckt, das rechte unnatürlich groß, die Stirn geschwollen und von blauen Flecken entstellt.
»Einmal ist es gerade noch gutgegangen, Felix«, sagte Captain Snyder, »akute Alkoholvergiftung, Gehirnerschütterung, Platzwunde, Bluterguß.« Felix starrte mit seinem großen drohenden Zyklopenauge an die Decke. »Hör zu, mein Junge: du warst auf der Kippe. Jetzt kommst du mir nicht länger aus – wir reden jetzt von Mann zu Mann. Ich werde dir deine Krankengeschichte so simpel wie möglich erklären.«
»Okay, Doc«, antwortete Felix mühsam.
»Mancher verträgt den Schnaps besser, mancher schlechter: du verträgst ihn ganz schlecht, Kriegskamerad. Bei dem einen geht er auf die Leber, bei dem anderen auf den Magen oder das Herz; bei dir, mein Junge, geht er auf das Gehirn.«
Nichts veränderte sich im Gesicht des Patienten, aber Dr. Snyder wußte, daß er Felix angeschlagen hatte.
»Jeder Mensch hat eine bestimmte Menge Gehirnzellen, einen Teil davon kann man mit Schnaps tränken, ohne daß man gleich in die Klapsmühle muß – eine gewisse Menge, mein Lieber –, und das hast du jetzt geschafft.«
Felix wollte ihm den Kopf zudrehen. Der Doktor sagte, weniger brüsk: »Bleib liegen! Der Vorgang ist sehr einfach: Alkohol vergiftet die Nerven – es beginnt mit einer bis zum Exzeß gesteigerten Erregung und endet mit Apathie, wenn nicht mit Bewußtlosigkeit. Der Erregung folgt die Lähmung. Deine Haut wird rot, du frierst, verlierst das Gleichgewicht. Deine Blutgefäße erweitern sich abnorm.« Er sprach sachlich wie bei einer Demonstration im Lehrsaal. »Dein Magen- und Darmkanal ist verseucht. Dir wird hundeelend, und bei deiner nächsten Alkoholvergiftung – verlaß dich drauf – tritt bei dir die zentrale Atemlähmung ein –, und das heißt: aus. Vorbei. Exitus!«
Er sah den Kranken an und fragte: »Kannst du mir folgen, Sohn?«
»Ja«, antwortete Felix, »trotz der vergifteten Gehirnzellen.« Er versuchte zu lächeln, wodurch sein Gesicht noch martialischer wirkte. »Also, was schlägst du vor, Doc?«
»Zunächst einmal eine geschlossene Anstalt – Entziehungskur. Es gibt verschiedene Methoden, Praktiken, Medikamente. Bei dir hilft – wenn überhaupt – nur die härteste.«
»Einverstanden«, antwortete Felix.
»Sag das nicht so leicht, Boy«, versetzte Dr. Snyder.
»Ich möchte«, entgegnete Felix mit einer Stimme, die allmählich festen Boden gewann, »daß du damit sofort anfängst, Doc.«
»All right.«
»Weiter möchte ich, daß du Susanne nicht vorläßt, solange ich so schlimm aussehe – und daß du mit Martin sprichst, der
Weitere Kostenlose Bücher