Die wilden Jahre
sich um sie …«
»Gut, mein Junge – wir füttern dich in den nächsten Tagen heraus, und dann – mach dir keine Illusionen, du wirst mich hassen. Du wirst mich für einen Schurken, für einen Sadisten, für einen Mörder halten, und …«
»Du wirst es überstehen, Doc«, entgegnete Felix.
»Die Frage ist, ob du …«, erwiderte der Arzt. »So long, my boy.« Während er die Tür schloß, zeigte sein Gesicht Mitleid und Sorge.
»Felix geht es gut«, sagte Dr. Snyder im Ordinationsraum zu Susanne und Martin, »aber sei nicht böse, Darling«, er wandte sich an das Mädchen, »heute können wir dich noch nicht gebrauchen – Jack bringt dich in dein Office zurück.« Er hörte Susannes stumme Bitte. »Morgen, honey, oder übermorgen darfst du von mir aus den ganzen Tag zu ihm.« Er klopfte Susanne freundschaftlich auf die Schulter und schob sie dann zärtlich aus dem Raum.
Martin wollte ihr folgen, aber der Arzt hielt ihn zurück und sagte: »Ich muß mit Ihnen sprechen, Ritt. Es tut mir leid, daß ich im Klub so unfreundlich zu Ihnen …« Er wies auf die Sitzecke. »Aber setzen Sie sich doch, fellow.«
Sie nahmen in einer behaglichen Polsterecke Platz, und Martin wußte, daß das Gespräch unbehaglich werden würde, als der Arzt begann:
»Halten Sie mich nicht für einen Angeber, wenn ich Ihnen eröffne, daß ich unseren gemeinsamen Freund gerade noch dem Friedhof abgekauft habe – ein paar Gläser mehr, ein paar Minuten später …« Die brüske, burschikose Art, in der der Captain sprach, tarnte nur mangelhaft den Kummer, den sich der Arzt um seinen Patienten machte.
»Felix hat eben zugestimmt, daß ich, sowie er besser bei Kräften ist, eine Antabus-Entwöhnungskur mit ihm mache. Ich weiß nicht, ob Sie eine Ahnung haben, was das ist? So ziemlich das Gemeinste, Brutalste, was die moderne Medizin auf diesem Gebiet zu bieten hat – und das einzige, was Felix vielleicht – noch helfen wird …«
Er lehnte sich zurück, griff in ein Fach unter dem Tisch, suchte die Flasche.
»Wenn ich nur daran denke, wird mir schon übel«, sagte er, goß zwei Gläser voll und schob eines zu Martin rüber. »Cheerio!«
So schlimm? dachte Martin und betrachtete den Arzt. Wieder fiel ihm der Gegensatz zwischen den kurzen weißen Haaren und den jungen braunen Augen auf, der es fast unmöglich machte, das Alter Snyders zu schätzen.
»Sehen Sie«, fuhr der Captain fort, »so beginnt die Kur bei unserem Freund: zuerst bekommt er ein Präparat, dann Schnaps, und wenn das Tetraäthyl-Diuram-Disulfid auf den Alkohol stößt, beginnt die Schweinerei. Die Verbrennung des Äthylalkohols wird unterbrochen, im Körper sammelt sich giftiges Azetaldehyd, und das heißt: rasende Kopfschmerzen, wahnwitzige Übelkeit, schwere Kreislaufstörungen – und während der ganzen Zeit wird der Patient eingesperrt, mit seinen eigenen Exkrementen im Raum – und das so lange, bis sich sein Magen entleert, wenn nur eine leere Schnapsflasche an ihm vorbeigetragen wird.«
»Kann Felix das durchhalten?« fragte Martin.
»Hoffentlich«, antwortete Dr. Snyder ernst.
Sie sahen sich in die Augen und blickten dann, wie verabredet, gleichzeitig aneinander vorbei.
»Felix ist ein traumatischer Trinker. Verstehen Sie, Freund«, fuhr der Arzt fort. »Er trinkt, weil ihn etwas quält: ein Schock, eine Erinnerung, eine alte Geschichte.« Er stand auf, sprach grimmig: »Eine Geschichte, die Sie kennen – und die ich jetzt hören möchte.«
Martin wog ab, wieviel er sagen mußte und wie wenig er erzählen durfte.
»Lassen Sie das«, sagte der Captain. »Ich gebe Ihnen mein Wort als Arzt und als Freund des Patienten, daß ich ihm nur helfen kann, wenn ich es weiß. Und was es auch ist, mein Sohn: es fällt unter die ärztliche Schweigepflicht.«
»Gut«, antwortete Martin, »genau weiß ich es selbst nicht, aber was ich weiß, sollen Sie erfahren, Mr. Snyder.« Martin berichtete dem Arzt die Ereignisse seit der Kristallnacht. Als er die von Felix betriebene Anklage gegen den alten Ritt, seinen Vater, schilderte, die zur Hinrichtung geführt hatte, unterbrach ihn der Captain:
»Stop! Das muß es sein. Und hier rechne ich mit Ihnen, Menschenfreund …«
»Ich werde meine Reise in die Schweiz verschieben«, sagte Martin.
»Unsinn«, entgegnete der Arzt. »Fahren Sie weg, so weit Sie können – am besten nehmen Sie auch Susanne mit. Jetzt brauche ich unseren geliebten Saufbruder allein … Aber dann, wenn wir ihn soweit haben –
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