Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
dann brauche ich euch – Sie und Susanne – Tag und Nacht …«
    Er stand auf, geleitete Martin zur Tür, eine Aufmerksamkeit, die bei Dr. Snyder ungewöhnlich war.
    »Jetzt kann ich gar nichts …?« sagte Martin.
    »Hoffen können Sie«, knurrte der Captain und schloß die Tür mit dem Fuß.

XV
    Wie eine Zwingburg erhob sich das Hauptquartier der Moralischen Aufrüstung in Caux sur Montreux siebenhundert Meter über dem Genfer See. Allein in diesem Jahr sollten fünfundsiebzigtausend Gäste aus hundert Ländern der Erde geladen, gewonnen und geläutert werden.
    »Gott hat viel für die Schweiz getan«, hatte der Waisenhauspfarrer aus Pennsylvania, dem während des Krieges der Aufschwung zum Moralprediger der Welt gelungen war, den Bürgern der Alpenrepublik zugerufen: »Was tut die Schweiz für Gott?«
    Wohlhabende Bürger dieses Landes, Anhänger der neuen Lehre, verstanden die Anspielung und schenkten der Oxford-Bewegung das Caux-Palace, ein Luxushotel anrüchigen Vorlebens; mit neuer Farbe und neuem Namen sollte es fortan als Mountain-House zur Kanzel werden, von der aus man den Menschen besserte.
    Martin hatte erwartet, daß ihn die Schweiz überwältigen würde, und es schien ihm, als reise er nicht mit dem Omnibus, sondern mit einer Zeitmaschine, nicht durch ein benachbartes Land, sondern auf einen anderen Stern.
    Er fuhr nicht als Martin Ritt, sondern als Mitglied der ›Gruppe Frankfurt‹; er hatte keinen Namen, sondern eine Zahl, keinen Paß, sondern einen Sammelausweis, und er brauchte auch nicht zu bezahlen, sondern er war freigehalten wie die anderen Teilnehmer der bunten Reisegesellschaft, die von der Militärregierung der Moral Rearmanent zur Show von Caux abgestellt und von den schweizerischen Behörden für diesen Zweck in das Land gelassen wurden.
    In einer Flut von Broschüren verkündete die neue Lehre: »Gott hat einen Plan für Deutschland.« Die Offiziere der westlichen Besatzungsmächte lasen es nicht ungern, zumal sie keine oder unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft ihrer Zonen hatten. Die Oxford-Bewegung war amerikanisch-britischen Ursprungs und hatte sich während des Kriegs als Organisation zur Hebung der Kampfmoral bewährt, weshalb Caux einen Draht zu den Militärgouverneuren hatte.
    Martin war nicht hierhergekommen, um sich erbauen zu lassen, sondern um einem Verbrecher namens Silbermann, dem Komplicen seines Vaters, aufzulauern. Er kam sich vor wie ein Dieb, der am hellen Tag eingestiegen war, wollte sich abseits halten und wurde wider Willen sofort in die Veranstaltung gezogen.
    Eine amerikanische Bankiersgattin richtete ihm das Frühstück; eine französische Abgeordnete servierte ab; die Frau eines holländischen Ministers säuberte sein Zimmer. Millionenerbinnen schälten Kartoffeln, Töchter des Hochadels wuschen Geschirr, und Martin glaubte sich verblüfft auf einen Gesindeball versetzt, bei dem die Damen der Gesellschaft als Dienstmädchen maskiert auftraten. Schließlich erinnerte er sich, wie am Weihnachtstage auf Wunsch des Regiments die Unteroffiziere ihre Soldaten bedient hatten, die sie am nächsten Morgen wieder so gründlich durch Schmutz und Nässe hetzten, daß sich ein Rekrut auf der Latrine mit dem Karabiner erschoß.
    Die Türen hatten keine Schlösser, die Zimmer keine Aschenbecher, Rauchen war verpönt, Trinken verboten, Rücksicht Pflicht für jeden, der nicht auffallen wollte. Die Gäste gaben sich so, wie sie sein wollten, erschrocken und beglückt, daß sie so sein konnten.
    Am Nachmittag wurde Martin zur Gartenarbeit eingeteilt und stellte, als er am Geräteschuppen Harke, Schere und Schaufel empfing, wiederum fest, daß das Zentrum moralischer Weltverbesserung in einem der häßlichsten Steinkästen an einem der schönsten Plätze residierte.
    »Ist das die Möglichkeit!« sagte ein Mann lachend neben ihm, »Ritt – Tag, alter Freund und Blumenstecher.«
    Während sich Martin unwillig umdrehte, wußte er, daß die Feiertagsstille durch Geschwätz zerstört wurde. Es war Rothauch mit dem Braunstich, der frühere Mitschüler.
    »Wie kommst du hierher?« fragte Martin, nur um etwas zu sagen.
    »Gruppe Heidelberg«, erwiderte Rothauch stramm. Seine Lippen platzten schmollend auseinander. »Du hast mir zwar nicht helfen wollen – aber ich habe auch ohne dich endlich meine Zulassung zum Studium bekommen – Jura, sechstes Semester – im Herbst mache ich das Examen und dann …« Er verzieh Martin mit jäher Geste und sagte einlenkend:

Weitere Kostenlose Bücher