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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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sich vorgenommen hatte, diesem Burschen nicht mit Zornausbrüchen zu begegnen, sondern ihn hinzuhalten und abzuwarten.
    Er blieb stehen. Klebrige Haare hingen ihm in die nasse Stirn, sein halsloser Kopf wirkte geduckt.
    »Welche Garantien können Sie mir geben, daß ich vor weiteren Erpressungen sicher bin?«
    »Keine.«
    »Sie wollen mich ruinieren?«
    »Nein«, entgegnete Martin ruhig, »vernichten.«
    Er sah, wie sein Opfer auf den Schreibtisch zuging, mehr wankend als schreitend, wie er auf den Stuhl fiel und den schweren Kopf auf die verkümmerten Hände legte, während sein Gesicht Panik überflutete.
    »Wenn Sie nicht bezahlen, gehen meine Unterlagen heute noch zur Polizei. Wenn Sie das Geld aufbringen, erkaufen Sie sich damit einen Vorsprung von acht Tagen –, einhundertzweiundneunzig Stunden also, sofern Sie sich rasch entschließen. Nach Ablauf dieser Frist übergebe ich den zuständigen Dienststellen in der Schweiz, in Amerika, in England, in Frankreich, in Rußland, außerdem den jüdischen Hilfsorganisationen und sämtlichen militärischen Geheimdiensten Ihren Lebenslauf, genau nach Dokumenten geordnet – zwecks weiterer Veranlassung …«
    Panetzkys Mund stand offen, als hätte er vergessen, ihn wieder zu schließen.
    »Sie verschwenden bereits Ihre Zeit«, sagte Martin. »Sie werden sicher noch Vorbereitungen treffen müssen für eine Reise nach Südamerika …«
    »Ich bitte Sie«, entgegnete Panetzky ängstlich mit gepreßter Stimme, »Sie mögen mich hassen – aber denken Sie an meine Frau – an meinen Sohn …«
    »Haben Sie an Jakob Kahn gedacht? War er kein Sohn?«
    Panetzkys Kopf sank tiefer.
    »Sie haben drei Möglichkeiten, Panetzky«, fuhr Martin fort, »Sie können sich der Polizei stellen, die würde Sie zwar ins Zuchthaus bringen, aber Ihnen vielleicht ermöglichen, das Blutgeld der Kahns zu behalten.«
    Er betrachtete den Verstörten gleichmütig.
    »Sie können sich erhängen, erschießen oder vergiften – ebenfalls zugunsten Ihrer Familie.« Während er sprach, sah Martin, daß Panetzkys gehetztes Gesicht immer mehr dem Haupt des Erschlagenen auf dem Gobelin ähnelte, das eine strahlende Siegerin in den erhobenen Händen hielt.
    »Sie können sich aber auch zu einem angemessenen Preis eine Woche Vorsprung kaufen, können nach Argentinien fliegen oder nach Chile oder in ein anderes Land. Die Welt ist groß.«
    »Ich kann doch nichts für die Treibmine«, stöhnte Panetzky, »ich bin doch unschuldig daran, daß …«
    »Daran schon«, entgegnete Martin, »aber Sie hatten die zündende Idee und durch Ihre Agententätigkeit für das Reichssicherheitshauptamt auch die Möglichkeit, den jungen Kahn sozusagen als Vorführung ermorden zu lassen …«
    »Ich bin un-un-schuldig …«, jammerte Panetzky.
    »Stottern Sie nicht«, versetzte Martin. »Sie werden von Staat zu Staat, von Kontinent zu Kontinent gehetzt werden. Sie werden keine Ruhe finden und kein Zuhause haben … Wo immer Sie sind, drohen Ihnen Auslieferungsbegehren, eine Mordanklage in Sachen Kahn – und vermutlich noch andere Fälle, über die Ihr Freund Silbermann gern berichten wird. Man wird Ihre Doppelrolle während des Krieges untersuchen und Ihnen den Verrat heimzahlen, deshalb werden sie im Untergrund leben müssen, im Milchmann einen Verfolger sehen, im Zeitungsverkäufer einen Geheimagenten, und der Mann, der in der Bar an der Theke neben Ihnen seinen Schnaps trinkt, kann Ihr Scherge sein …«
    Martin sah auf die Tapisserie über dem zusammengesunkenen Panetzky, der mit trockenen Augen und offenem Mund weinte, betrachtete die Siegerin – nicht Judith, sondern Lydia: Sie trug das kurze plissierte Tennisröckchen, von dem sich die schönen gebräunten Beine abhoben, sie lächelte schelmisch, und Martin hörte sie sagen: »Nicht wahr, Martin, nach dem Krieg gibst du mir Revanche?«
    »Ich rieche schon die Angst, die an Ihnen hängt«, sagte er, »es wird Tage geben, da werden Sie meinen Vater beneiden – vielleicht sogar Jakob.« Gelassen setzte er hinzu: »Sie haben noch bis heute nachmittag Zeit, sich zu entscheiden.«
    Er ging mit raschen federnden Schritten, schlug die Tür hinter sich zu und lächelte im Vorzimmer seines Sieges die erschrockene Sekretärin an.
    Diese erhob sich und griff nach dem Zettel, auf dem telefonische Anfragen notiert waren. Auf die Tür des Chefbüros zugehend, zögerte sie, und schaute Martin fragend an.
    »Herr Panetzky möchte im Augenblick nicht gestört werden«,

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