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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Magen.
    Sie blieb aus.
    Er rüstete sich gegen den Mann in der Rotjacke. Er kam nicht.
    Aber der Whisky schmeckte wieder, auch lauwarm, ohne Eis, und er machte nicht dumm, sondern stark.
    Felix handelte sich noch ein paar Schlucke ab, und mit jedem wurde der Ekel schwächer.
    Heute behielt der Magen alles. Der Mund schmeckte nicht nach faulen Äpfeln, und Susanne war ihm nah. Er wollte hinaus aus dieser verdammten Zelle, wollte zu Susanne, wollte diese verdammte Uniform loswerden, mit dem Schiff nach New York reisen, immer Susanne neben sich, in einer Doppelkabine, wie es sich für Mr. und Mrs. Lessing gehörte, und die junge Frau lächelte, weil sie ihm einen kleinen Schluck gönnte und wußte, daß der liebe, gute Doc immer ein wenig übertrieb. Ihr Mann war ein Kerl, der eine halbe Flasche vertrug und dann aufhörte, weil er kein Alkoholiker war …
    Felix hob die Flasche gegen das Licht. Die erste Hälfte hatte er erreicht. Er wurde zornig, nicht auf sich, sondern auf die chemische Industrie, deren Abschreckung heute versagte. Weil er zornig war, trank er weiter, trank die ganze Flasche leer. Er lachte albern und hörte zum erstenmal seine Stimme wieder.
    Er legte sich aufs Bett und schlief unverzüglich ein, schlief die ganze Nacht durch, fest und traumlos.
    Am nächsten Tag holten ihn Mac und Bob ab, sahen die leere Flasche und tauschten wissende Blicke. Felix hatte leichte Kopfschmerzen, sonst keine körperlichen Beschwerden, aber er wetterte wider sich, weil er rückfällig geworden war.
    Er sollte ein Bad nehmen, aber er war zu schwach dazu. Die Krankenpfleger schoben die Hände unter sein Gesäß, hoben ihn hoch wie ein Kind, zogen ihn aus, badeten und rasierten ihn. Er erhielt ein frisches Hemd, eine Zigarette, Kaffee und Brötchen.
    Felix wußte aus Erfahrung, daß sein Kopf bis Mittag wieder klar und sein Körper schon abends wieder auf das nächste Glas wild sein würde. Er hatte sich gequält und war keinen Schritt weitergekommen; er betrachtete sich im Spiegel und ärgerte sich über den hohlwangigen, bleichgesichtigen Kerl, der ihn anstarrte.
    »Gefällst du dir?« fragte Dr. Snyder.
    »Um es gleich zu sagen, Doc«, entgegnete Felix gepreßt, »ich habe die ganze Flasche ausgetrunken.«
    »Das war zu erwarten.«
    »Ich fühle mich soweit ganz gut«, fuhr er mit unguter Stimme fort, »mein Speichel schmeckt bitter, die Zunge fühlt die Zähne wie ein künstliches Gebiß, der Kopf brummt ein wenig, aber«, setzte er heftig hinzu, »sonst ist diesmal jede Nebenwirkung ausgeblieben. Verstehst du das?«
    »Gewiß.«
    »Ist es schon soweit mit mir«, fragte Felix leise, »daß eure widerwärtigen Tabletten nicht mehr wirken?«
    »Die Tabletten von gestern«, antwortete Dr. Snyder, »waren Traubenzucker, und der Whisky kam aus dem PX, Blaukreuzler, nicht aus der Apotheke.«
    »Warum macht ihr das mit mir?«
    »Weil wir dir helfen wollen, Felix …«
    »… indem ihr mir volle Flaschen in die Zelle stellt?«
    »Wenn du hier herauskommst, mein Junge«, erklärte der Arzt ruhig, »kehrst du in eine Welt voller Schnapsflaschen zurück – nur die Wände, gegen die du dann rennst, werden nicht mehr aus Gummi sein. Ist das klar?«
    »Aber ich will doch nicht – ich wollte doch nicht mehr trinken!«
    »Du machst Fortschritte …«
    »Wenn ihr mir keine Möglichkeit gebt – dann werde ich auch nicht – dann kann ich gar nicht …«
    »Jetzt trinkst du jeden zehnten Tag«, antwortete Dr. Snyder, »früher hast du jeden Tag einen Rückfall gehabt.«
    »Aber wie lange soll das noch gehen?«
    »Bis dein Körper auf den reinen Whisky genauso anspricht wie auf den vergifteten – bis sich dein Magen umdreht, ob die Flasche leer ist oder voll – bis du nicht mehr trinkst, weil du nicht mehr trinken kannst.« – »Dauert das noch lange?«
    »Leider«, antwortete der Arzt.
    Felix widerstand und trank, fiel um und erhob sich wieder. Er lag im Schmutz, im Kot, auf seinem Körper kauerten Geier, und die Hyänen warteten geduldig im Hintergrund.
    Er durchlitt Visionen des Grauens, im Vorfeld des Wahnsinns, erlebte Siege und Niederlagen, Verzweiflung und tiefe Einsamkeit, nicht wissend, daß nur ein paar Meter von ihm entfernt Dr. Snyder die Wache hielt – und Angst hatte, wiewohl er kein Trinker war.

XVIII
    Er saß an seinem Schreibtisch, sah wuchtig aus und größer, als er war; seine Gesichtshaut schimmerte immer noch rosig, und er wirkte trotz der dunklen Schatten, die unter den wasserhellen lichtblauen

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