Die wilden Jahre
Kommunistischen Manifest allein können sie ihre Freundinnen auf die Dauer auch nicht befriedigen. Sehen Sie das ein, Ritt?«
»Ziemlich«, antwortete der Besucher.
»Dann kommt unser kleiner Dreh«, fuhr Panetzky fort, »die Einfuhr der in östlichen Betrieben aus westlichem Material produzierten Ware.«
Da gäbe es Berlin, diese großartige Relaisstation der Ost-West-Geschäfte. Aus dem roten Teil der Vier-Mächte-Stadt könne man die Waren ohne besondere Schwierigkeit in die westlichen Sektoren schaffen lassen, die, wie mit aller Sicherheit zu erwarten sei, nach dem Währungsschnitt mit der Trizone eine Wirtschaftseinheit bilden würden.
»Also ein Gebiet ohne Zollschranken«, erklärte Panetzky, »und wenn ich Ihnen, Ritt, die Nylonfäden besorge und Sie inzwischen in Deutschland eine Verkaufsorganisation aufbauen, dann können wir, wenn wir wollen, mit unseren Gewinnen das halbe Land aufkaufen.« Er betrachtete Martin gelassen. »Wollen wir?«
»Nein«, antwortete Martin.
»Sie – Dickkopf«, erwiderte Panetzky.
»Ich will keine Strümpfe von Ihnen, sondern Dollars, Panetzky. Ich stelle Sie mir auch nicht als Partner vor, sondern als Opfer …«
»Opfer?« fragte er.
Seine Zunge fuhr rasch und tastend über die trockenen Lippen, während er die Schublade seines Schreibtisches öffnete und mit beleidigter Geste ob soviel Starrsinns das Scheckbuch herausholte und nach einem goldenen Federhalter griff.
Seine Lippen wurden rund und standen offen; sein Mund sah aus wie der erloschene Krater eines winzigen Vulkans. Seine Hände zitterten leicht; in seinem Gesicht stand deutlich die Baisse.
»Einen Barscheck?« fragte er sachlich.
»Nein.«
»Sondern?«
»Eine Überweisung«, antwortete Martin.
»Wohin?«
»Nach Philadelphia, im Staate Pennsylvania, USA«, versetzte der Besucher ruhig.
»Ach –!« entgegnete Panetzky. Er stand auf, wurde kleiner, trat an das Fenster und blickte über den Hof hinweg, dessen linke Seite ihm gehörte. Er konnte verstehen, daß man einem Erpresser aufsaß – er hatte seine Erfahrungen in diesem Metier –, aber ein rasender Träumer, der aus Gefühlsduselei ein Vermögen Menschen zurückgab, die keinen rechtlichen Anspruch darauf hatten – schließlich war ja die Transaktion damals juristisch gegen alle Eventualitäten abgesichert worden –, das ging über seinen Horizont.
»Was sind Sie, Ritt«, fragte er, »ein Kind? Idiot? Bornierter …«
»… Idealist«, antwortete Martin, während sich längs seiner sentimentalen Mundecken harte steile Kerben abzeichneten.
»Diese Leute in Philadelphia sind steinreich«, sagte Panetzky, sich gewaltsam zu unbetonter Sprechweise zwingend. »Sie brauchen das Geld nicht. Sie machten keinen Versuch, es wiederzuerhalten. Auf Grund korrekter Vereinbarungen könnten sie das auch nicht.«
»Deshalb möchte ich«, entgegnete Martin träge, »auf dem Umweg unkorrekter Vereinbarungen dafür sorgen, daß sie anstelle ihrer Verwandten wenigstens ihre Dollars zurückbekommen.«
Panetzky begriff, daß er vor einer Wand stand, an der er sich höchstens verletzen konnte. Verstört und verbittert gab er zu verstehen, daß er der Forderung nachkommen würde.
»Wenn Sie meinen«, sagte er, »werfe ich eben diese Riesensumme zum Fenster hinaus. Sie haben gesiegt, Ritt, aber ich wünsche Ihnen, es möge Ihnen noch mal so jämmerlich gehen, daß sie den Wert des Geldes schätzen lernen – ein Leben lang sollen Sie von den Dollars träumen, die Sie jetzt einem einmaligen Auftritt als ehrlicher Erpresser opfern – auf Schritt und Tritt soll Sie das Geld verfolgen, mit dem Sie sich alles kaufen könnten, während Sie Ihre Armensuppe umrühren …« Er atmete heftig. »Lassen wir das. Wenn wir uns über die Art der Übergabe einigen, überweise ich die hunderttausend Dollar in Schweizer Franken.«
»Plus Zinsen«, entgegnete Martin.
»Noch etwas?« fragte Panetzky höhnisch.
»Ja«, antwortete Martin, »damit Sie mich nicht allzusehr für einen spintisierenden Romantiker halten – verlange ich persönlich von Ihnen noch zehntausend Dollar.«
»Provision für Erpressung?«
»Schmerzensgeld.«
»Für Sie?«
»Für meinen Vater«, versetzte Martin. »Schließlich hat der Mann, dessen Erbe ich bin, ja einiges mitgemacht – während Sie und Silbermann noch leben …«
Panetzky lief gehetzt im Raum umher. Sein Milchgesicht wurde dunkelrot, schlagflüssig. Er vergaß, daß ihm der Arzt jede Aufregung untersagt hatte und daß er
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