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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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heißt«, sagte Felix, »was willst du haben?«
    »Leg deinen Arm um meine Schulter.«
    »Nicht hier«, entgegnete er.
    »Wenn ich aber will.«
    »Du bist jetzt erwachsen, Susanne, und mußt dich daran gewöhnen.«
    »Sind wir in Paris oder nicht?« fragte sie und trat gespielt eigensinnig mit dem Fuß auf.
    Er drehte sich nach den Passanten um und zog sie an sich. Rasch und heiß fuhr sie an seinem Körper empor wie eine Stichflamme, küßte ihn und sank wieder zusammen.
    »Siehst du«, sagte sie, »Paris hat nichts gegen Liebende.«
    Sie blieben vor einer Parfumerie stehen. Durch die offene Tür spähend, hatte Susanne gesehen, daß der Laden wie eine Bar eingerichtet war, und sie zog Felix in das Geschäft. Sie setzten sich auf die Hocker und nahmen Duftproben. Der Wohlgeruch schien sich zu steigern, doch nach dem vierten Versuch gab es Felix auf, und nach dem sechsten behauptete Susanne, den rechten Duft gefunden zu haben.
    Sie hob ihm die Wange entgegen und fragte:
    »Riechst du es gerne?«
    »Am liebsten rieche ich dich«, antwortete er.
    »Dummkopf!«
    »Deine Haare – deine Haut …«
    »Geizhals!« entgegnete Susanne lachend.
    Sie war zum erstenmal in Paris, zum erstenmal in Frankreich, zum erstenmal im Ausland, und sie nahm den Zauber der Stadt in sich auf, durstig wie eine Sommerwiese. Sie hatte gewußt, daß die Fahrt ohne Ziel eine Traumreise würde; die verschlossene Miene des Mannes offenbarte ihr alles, und je näher sie Paris kamen, desto vergeblicher versuchte Felix, undurchdringlich zu wirken, wie ein Zauberer vor dem größten Trick: Susanne, die ihn längst durchschaut hatte, spielte mit, um ihm die Freude nicht zu verderben, und als er heute morgen zu ihr gesagt hatte: »Zieh dir dein hübsches Kostüm an, das dunkelblaue …«, trumpfte sie auf:
    »Viel zu warm – an einem solchen Tag!«
    »Wir müssen einen Besuch machen.«
    »Bei wem?«
    »Frag nicht so viel!«
    »Sei nicht so geheimnisvoll!« erwiderte Susanne streitlustig; sie übersah die Mappe mit dem halben Kilo Formularen, die sie für die Trauung ausgefüllt hatten.
    Noch auf dem Gang der Amerikanischen Botschaft zeigte sie sich unwissend, ihm zuliebe.
    »Hast du Mut?« fragte er.
    »Ja, warum?«
    »Dann spring ins Wasser.«
    »Wo?«
    »In Zimmer sechsundzwanzig«, entgegnete er barsch. »Wir heiraten nämlich.«
    »Und die Zeugen?«
    »Konsulatsbeamte.«
    »Und die Blumen?«
    »Im Hotel.«
    »Und die Ringe?«
    »In der Tasche«, antwortete er und holte seine umständliche Überraschung aus dem Etui.
    Obwohl er ein feierliches Gesicht schnitt, war die Eheschließung eher eine Prozedur als eine Zeremonie: Fragebogen, Ausweiskontrolle, Erstaunen, Kopfschütteln, Rückfragen, Unruhe, Unglaube, Frage, Antwort: Zweimal »Yes« statt »Ja«.
    Unterschrift, Stempel, Glückwunsch, Verwunderung.
    Sie fuhren in das Hotel zurück, Susanne zog sich um, schlüpfte aus dem strengen Kostüm. Felix gab ein Telegramm an Martin auf, grübelte vor dem Formular und schrieb: »Es ist sehr schwer, als amerikanischer Offizier eine deutsche Braut auf der Botschaft der Vereinigten Staaten in der französischen Hauptstadt zu heiraten!«
    Die junge Frau war fertig, trug Frische und bunte Seide; sie betrachtete den Text: »Viel zu lang«, protestierte sie, »viel zu teuer!« Sie nahm Felix energisch den Stift aus der Hand und schrieb:
    »Just married.«
    »Aber das schreiben doch alle«, murrte er.
    »Es heiraten ja auch alle.«
    »Nicht alle«, widersprach er.
    »Dumm, was du sagst«, erwiderte Susanne, »wer nicht heiratet, braucht doch gar nicht …«
    Seitdem hatte sich eine junge Frau, die wie ein Mädchen aussah, wie ein Kind benommen, das alles auf einmal haben wollte: den Louvre und Notre-Dame, die Hallen und den Eiffelturm, die Kirchen und die Lasterhöhlen; Felix, Fremdenführer dieser Stadt und Cicerone ihres Lebens, versicherte ihr, daß sie über Paris noch mindestens eine Woche verfügen könne, aber sie blieb hartnäckig und erwiderte, daß sie nur einen einzigen Hochzeitstag habe, und so erlagen sie der Stadt, die sich ihnen ergab.
    Der Tag war lang und schön – der erste von vielen, die auf sie warteten.
    Kurz nach Mitternacht lagen sie nebeneinander im Eckzimmer des kleinen Hotels im Quartier Latin. Die Finsternis kroch, vom Licht verwundet, durch das Fenster, als suche sie Schutz; sich bergend, barg sie die beiden, die sich müde geliebt hatten.
    Susanne lächelte weich; es galt dem Gesicht des Mannes, das sich über sie beugte; die

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