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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Schiele.
    »Allerdings«, antwortete Martin.
    Er griff in den Handschuhkasten, holte ein Päckchen Zigaretten, Schweizer Ware, heraus und hielt es so, daß Schiele den Markennamen lesen konnte. Er beobachtete, wie der frühere Richter nach dem Nikotin gierte, zog zögernd eine Zigarette hervor, als überlege er sich seine Großzügigkeit, nahm eine zweite und warf sie Schiele scheinbar so achtlos zu, daß Sie auf den Boden fiel.
    »Kindskopf«, sagte Schiele, bückte sich und hob die Zigarette auf. »Geben Sie mir bitte Feuer!«
    »Salve! Feuer!« rief Martin, weil ihm ein Kriegsrichter vorgeführt hatte, wie man eine Demütigung abwehrt.
    Schiele lächelte. »Ihnen sitzt der Krieg noch ganz schön in den Knochen«, entgegnete er.
    »Ihnen nicht?«
    »Ich bin Zivilist.«
    »Man sieht's«, antwortete Martin und betrachtete die abgeänderte Uniform.
    »Waren Sie gern Soldat, Ritt?«
    »Dumme Frage.«
    »Meinen Sie, daß ich gern Feldrichter war?«
    »Sie sind doch der Typ für den Krieg.«
    »Sie doch auch«, gab ihm Schiele zurück.
    Soviel Penetranz bewunderte Martin, und da er Freude an makabren Spielen hatte, lud er seinen Mörder und Retter zum Mittagessen in eines der heimlichen Luxusrestaurants ein, die es für die Günstlinge der Hungersnot gab.
    Dr. Schiele speiste mit Genuß und Selbstverständlichkeit. Sein Gesicht war faltiger, sein Körper schmäler geworden; dem Mann fehlte nicht nur der Rotspon.
    »Was machen Sie eigentlich?« fragte er.
    »Geschäfte«, antwortete Martin.
    »Schiebungen?«
    »Vielleicht.« Martin hob sein Glas. »Aber meine Firma ist dabei – ehrbar zu werden.«
    »Ich war vor dem Krieg Wirtschaftsanwalt«, sagte Schiele, »und ich möchte so rasch wie möglich durch diese Spruchkammer – bevor mein angestammter Platz besetzt ist.« Er gab dem Kellner einen Wink, sein Glas nachzufüllen. »Im Ernst, Ritt – ich war, bevor man mich zum Krieg einzog, Spezialist von einigem Format in der Versicherungsbranche.«
    Martin wirkte interessiert.
    »Verstehen Sie etwas davon?« fragte Schiele.
    »Nicht viel«, antwortete Martin scheinbar bescheiden, »wenn der Krieg nicht dazwischengekommen wäre, hätte ich vielleicht meine Dissertation über ein Assekuranzthema geschrieben.«
    »Ach!« Schiele griff wieder zum Glas. »Und dann wurden Sie eingezogen – genau wie ich, und taten, was man von Ihnen verlangte – wie ich.«
    »Nicht ganz«, erwiderte Martin spöttisch, »doch deswegen wurde ich verurteilt – von einem Richter, der mit Herz und Hand …«
    »Lassen Sie doch endlich den Unsinn, Mann! Sie sind nicht der einzige, den ich heimlich laufen ließ – aber im Moment ein wichtiger Zeuge.«
    »Ich?«
    »Ob Sie aussagen wollen, weiß ich nicht«, sagte Schiele, »aber schon weil Sie noch am Leben sind, werden Sie mich entlasten.«
    »Wann ist die Verhandlung?«
    »Übermorgen – in Frankfurt.«
    Das Gespräch fuhr sich fest. Martins Gedanken kreisten um das Stichwort: Versicherung. Wie immer auch die Reform der Mark aussähe, dieser Wirtschaftszweig würde durch die laufenden Zahlungen der Versicherungsnehmer als erster wieder zu Geld kommen – eine Theorie, die Dr. Schiele als Fachmann bestätigte; vor dem Krieg war er Hausanwalt und Syndikus einiger namhafter Unternehmen gewesen und würde es vermutlich durch Verbindung und Erfahrung bald wieder werden.
    »Doch zur Sache«, sagte Schiele. »Sie brauchen nicht nach Frankfurt. Mit einem entlastenden Waschzettel wäre mir auch schon …«
    Martin schwieg; mit der Verachtung, die er für Schiele empfand, mischte sich – wie schon damals in der Zelle – Bewunderung. Er fühlte sich von ihm zugleich abgestoßen und angezogen. Ein verwegener Gedanke, der zu einem makabren Mittagessen paßte, setzte sich in ihm fest.
    »Vielleicht könnten wir zu einer Kompensation kommen?« schlug Martin vor.
    »Bedingung?«
    »Was liegt gegen Sie vor – bei der Spruchkammer?«
    »Das Übliche.«
    »Mehr?«
    »Weniger«, antwortete Dr. Schiele. »Halten Sie mich für keinen Schwätzer – nicht alle sind so dickköpfig und undankbar wie Sie, Ritt.«
    »Ich habe einige Grundsätze«, entgegnete Martin, »die ich unter keinen Umständen aufgeben möchte – zum Beispiel für Blutrichter keinen Finger zu rühren …«
    »Aber hören Sie sich doch die Verhandlung an«, entgegnete Dr. Schiele aufgebracht.
    »Das werde ich tun.« Martin lächelte spöttisch. »Wenn Sie mich von Ihren Wohltaten überzeugen können, will ich nicht undankbar

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