Die wilden Jahre
schien.
»Wir müssen ein bißchen Theater spielen«, sagte Felix, »wir sind auf der Durchreise – sind wir ja auch –, und du bleibst im Wagen sitzen, während ich …«
»Du bist ja nervös.«
»Halt den Schnabel, böses Kind.«
Felix ging zum Haus, klingelte und suchte französische Worte zusammen.
»Sie wünschen?« fragte ein Diener.
»Ich möchte zu Madame Rignier?«
»Wer sind Sie?«
»Ein Bekannter«, erwiderte Felix.
Er wurde in die Diele geleitet.
Als Martins Mutter kam, von der er nur eine nebulose Vorstellung gehabt hatte, erkannte er sie sofort wieder. Madame Rignier sah aus, wie sie seiner Meinung nach aussehen sollte: sie hatte weiße, sorgfältig in Löckchen gedrehte Haare, war elegant gekleidet, ein wenig zu modisch für ihr Alter, auch wenn sie die Figur eines Mädchens hatte.
»Monsieur?« empfing sie Felix.
»Je suis en route, Madame«, begann er, »et j'ai pensé que …«
»Do you speak english?« unterbrach ihn die Französin.
» Yes.«
»You're an American?«
»Ich bin Amerikaner«, antwortete er, »aber geboren in Deutschland.«
Das höfliche, leicht neugierige Lächeln schwand aus ihrem Gesicht. Sie betrachtete ihn tastend.
»Deutschland«, erwiderte sie leise. Sie dachte nach, sprach englisch weiter: »Wann sind Sie ausgewandert?«
»Neunzehnhundertachtunddreißig.«
»Aus Frankfurt?« sagte sie schnell. »Dann kannten Sie Martin?«
»Ja, Madame«, erwiderte Felix, »ich war sein Mitschüler – sein Freund.«
Sie lehnte sich zurück, schloß die Augen. Jetzt sah sie älter aus, müde.
»Er ist tot, gefallen – im Krieg …«
»Woher wissen Sie das, Madam?«
»Man hat es mir mitgeteilt. Amtlich.« Ihre Stimme wurde trocken, schleppend.
Felix erinnerte sich, daß er nach Erhalt der Akten ebenfalls angenommen hatte, Martin sei hingerichtet worden.
Madame Rignier hob die Lider, lächelte matt.
»Mon petit filou«, sagte sie. Sie stand auf. »Trotzdem – Sie müssen mir von Martin erzählen, von früher – mon Dieu – entschuldigen Sie – ich habe vergessen – darf ich Ihnen etwas anbieten?«
Er sei nicht allein, antwortete Felix, seine Frau erwarte ihn im Wagen. Er wußte, daß Martins Mutter Susanne in das Haus bitten würde, und die Einladung gab ihm Zeit, sie behutsam auf die Wahrheit vorzubereiten.
Von der Nordsee bis zu den Alpen dröhnten in Deutschland die Hammerschläge des Aufbausturms, und Martin sah, wie der Fleiß zur Besessenheit, die Tüchtigkeit zur Süchtigkeit wurde. Er wußte, daß aus den Bombentrichtern bald Hochhäuser in den Himmel schießen, die zerstörten Innenstädte zu modernen Citys werden würden – und hier wollte er seinen Platz finden.
Er hatte das Strumpfgeschäft rasch und lukrativ abgewickelt und sich in anderen Branchen umgesehen. Häufig schien bei seinen Unternehmungen der Spaß am Spiel nicht kleiner zu sein als der hohe Profit. Man wurde auf ihn aufmerksam und begann, in ihm einen geschickten Spieler zu sehen, der seinen Partnern immer um einen Zug voraus war. Als andere Goldsucher noch hinter Nylonfäden her waren, wandte sich Martin bereits dem Grundstücksmarkt zu; als seine Nachahmer sich schließlich für Liegenschaften interessierten, hatte er sich in Sperrmarktransaktionen gestützt; als sie ihn hier einzuholen versuchten, war er dabei, ins Aktiengeschäft einzubrechen. Martins Hausmacht war gesichert – doch auf einmal wurde es still um ihn. Er hatte die letzten Vorbereitungen zum Umzug nach Frankfurt getroffen, als Felix im September unangemeldet zurückkehrte.
»Du kommst doch zu uns?« fragte der Freund mit gewaltsamer Fröhlichkeit. »Susanne würde sonst …«
»Heute noch?«
»Los!« entgegnete Felix. »Außerdem haben wir eine Überraschung …«
»Gut«, erwiderte Martin und versuchte, Freude über ein Souvenir zu zeigen, das ihm die Freunde vermutlich von der Reise mitgebracht hatten.
Felix öffnete die Tür und trat mit einer nervösen Bewegung, die Martin schon aufgefallen war, zurück.
Zuerst sah er Susanne, sie saß neben einer zierlichen, zerbrechlichen Frau, die Martin zaghaft ansah.
Ein Moment war sein Gesicht schroff, hart, böse, als stemme er sich gegen eine Vision. Die Zeit füllte das Zimmer, beschlug die Wände des Raumes wie Kälte ein Glas. Wunden brachen auf.
Mißtrauisch, tastend, mühevoll erkannte er endlich Susannes Rührung, die Spannung des Freundes und begann benommen und verwirrt zu begreifen, welches Geschenk ihn erwartete.
Im ersten Taumel der
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