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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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bremsen, selten mit Erfolg. Es kam zu Zusammenstößen.
    »Ich warne Sie, Ritt«, sagte Dr. Schiele.
    »Wovor?«
    »Vor dem Piraten Ritt«, erwiderte der Jurist.
    »Meinen Sie?«
    »Seeräuber werden eines Tages gehängt.«
    »Von Ihnen?« fragte Martin belustigt.
    Er griff nach einem Kästchen und wartete, bis es der Anwalt sah. Er entnahm eine Zigarette, betrachtete Schiele, lächelte ungut und warf sie auf die Platte. Die Zigarette rollte an den Rand des Schreibtisches, weitergleitend fiel sie zu Boden, dem früheren Kriegsrichter vor die Füße.
    Ihre Augen suchten sich.
    »Lassen Sie künftig diese Spielereien, Ritt«, sagte der Jurist, »ich habe mir inzwischen das Rauchen abgewöhnt.«
    Felix und Susanne erfuhren in Paris von der Währungsreform und lasen Reportagen in den Zeitungen, ohne erfassen zu können, daß es in Deutschland mit einem Schlag zu einer wirtschaftlichen Revolution gekommen war. Während sich Felix überlegte, wie er dem Freund über die sicherlich schwere Anlaufzeit hinweghelfen könne, ohne seinen Stolz zu verletzen, war Martin längst wohlhabend.
    Sie blieben noch vierzehn Tage in Paris; dann reisten sie nach dem Süden weiter. Sie machten halt, wo es ihnen gefiel, und es gefiel ihnen überall, wo sie zusammen waren. Sie fuhren in den Sommer, durch ein Meer von Blumen, vorbei an sattgrünen Wiesen. Sie bewunderten rosa und weißen Oleander, wildduftende Rosen, Granatapfelblüten in verwegenem Rot.
    »Ich habe noch nie so viele schöne Blumen gesehen«, sagte Susanne.
    »Und ich noch nie so schöne Augen«, erwiderte Felix.
    Sie schlug ihm auf die Finger; er nahm ihre Hand und hielt sie fest. Es waren die albernen Spiele der Liebenden.
    Susanne sah zum erstenmal Palmen, und er führte ihr das Meer und den Sommer, die Provence, die Riviera, die Schlösser und die Weinberge vor, als gebiete er über den Glanz der Welt.
    Sie hatten Zeit, und die neuen Eindrücke, die Susanne gewann, waren für Felix schon von der Schwermut des Abschieds beschattet. Widerwillig gestand er sich, daß er ungern die Alte Welt verließ. Auf einmal wußte er, daß er heimlich wünschte, in Deutschland zu bleiben.
    »Woran denkst du?« unterbrach sie sein Grübeln.
    »Wirst du dich in der Neuen Welt zurechtfinden?«
    »Diese Welt hier«, antwortete sie, »war für mich auch schon eine neue Welt …«
    »Drüben sieht sie anders aus.«
    »Schöner?«
    »Anders: schneller, interessanter, vielleicht gefährlicher. Ich weiß nicht, ob …«
    Sie lachte ihn aus, machte aber die Einschränkung, daß sie ihre Eltern gern einmal wiedersehen würde.
    »Vielleicht kommen wir eines Tages ganz zurück«, entgegnete er. »Ich werde schon einen Weg …«
    »Du warst immer ein Zauberer.«
    »Und du ein Kind.«
    »Wenn du mich ein Kind nennst, werde ich dir bei Gelegenheit beweisen, daß ich …«
    »Was?«
    »Eine Frau bin.« Susanne lächelte einen jungen Mann an. Er blieb stehen, erschrak und lächelte mit offenen Lippen zurück. »Siehst du?« sagte sie.
    »Laß das, Dummkopf!«
    »Ich bestrafe dich.«
    »Mit Untreue?«
    »Nein«, antwortete sie, »mit hundert Küssen.«
    So verbrachten sie die Tage. Selbst wenn sie stritten, hörte es sich an, als liebkosten sie einander. Sie sahen nicht auf den Kalender, sie zählten die Tage nicht. Es war eine schwerelose, heitere Zeit, die Felix wie ein Geschenk annahm, das er nicht verdient hatte.
    Er überredete Susanne zu französischen Gerichten, und die junge Frau aß, mehr mutig als genießend. Er nötigte ihr feurige Weine auf, während er bei Apfelsaft und Limonade blieb, und er mochte es, wenn sie ein wenig getrunken hatte, weil sie dann noch lustiger wurde.
    »Stört es dich gar nicht?« fragte sie.
    »Nein.«
    »Hast du nicht einmal wieder Lust auf ein Glas?«
    »Nie, Susanne, du brauchst keine Angst zu haben.«
    »Ich habe doch keine – Lieber.«
    Sie waren in einem Fischerdorf, und Susanne stellte fest, daß sich Felix wieder um das Datum kümmerte. Unvermittelt sagte er: »Wir müssen nach Nizza.«
    »Wegen Martins Mutter?«
    »Erraten, mein Kind.«
    »Sag nicht immer Kind, Opa.«
    »Sag nicht immer Opa, Cousine.«
    »Dann laß das Tätscheln, Bruderherz.«
    Susanne wurde wieder ernst. »Aber wenn sie von Martin nichts mehr wissen will …?«
    »Dann wird er es nie erfahren.«
    »Hast du sie gekannt?«
    »Als ich dreizehn war …«
    Madame Rignier wohnte in einer verwitterten Villa, die mit Pinien umgeben war und sich durch einen Efeupelz gegen die Umwelt abzuschirmen

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