Die wilden Jahre
sein – das heißt: unter einer Bedingung.«
»Welcher?«
»Würden Sie – nach Ihrer Entlastung – die juristische Betreuung meiner Firma übernehmen?«
»Warum nicht?«
»Auch bei – gewagten Geschäften?«
»Ritt«, erwiderte Schiele, »erzählen Sie einer Hebamme nicht, wie Kinder auf die Welt kommen.«
»Gut«, antwortete Martin.
»Warum wollen Sie mich eigentlich haben?«
»Die Methoden meiner künftigen Firma werden mitunter ein wenig verwegen sein – und Gewohnheit macht lässig. Wenn ich einen Mann wie Sie in meinem Rücken weiß, Schiele, werde ich die Vorsicht nie vergessen.«
Wieder hob er das Glas: »Alsdann: auf unsere Zusammenarbeit!«
Sie fuhren gemeinsam nach Frankfurt, wo Martin im früheren Geschäftsviertel der Innenstadt, zwischen ausgebrannten Banken und zerbombten Versicherungspalästen, ein Trümmergrundstück gegen Kaffee und Zigaretten eintauschte.
Am nächsten Tag war er Zaungast der Spruchkammerverhandlung; wenn die Zeugen nicht gemeinsam logen, so hatte Dr. Schiele nicht übertrieben: es entstand das Bild eines Mannes, der zwar der braunen Zeit gedient hatte, aber doch – nach Möglichkeit und keineswegs immer gefahrlos – versucht hatte, auf seinem Betätigungsfeld das Schlimmste zu verhindern. Es traten Verurteilte für ihn ein, wie Martin, der sich schließlich lustlos dazu zwang, und so sprachen alle für ihn, zumal Soldaten, die vielleicht auf Befehl Schieles erschossen worden waren, nicht mehr gegen ihn aussagen konnten.
Am Vormittag waren sechs Sitzungen von unterschiedlicher Dauer angesetzt. Dr. Schiele, der mit zweihundert Mark Buße als Mitläufer davonkam, war der vierte Fall, und so erlebte Martin, der warten mußte, auch noch andere Verhandlungen. Billige Schmiere einer Laienspielgruppe, dachte er, als er das Gebaren untauglicher Ankläger verfolgte, die über unnötig Angeklagte zu Gericht saßen und lächerliche Bußen für straffreie, wenn auch unentschuldbare Schwäche verhängten. Dummheit ist keine Schuld, überlegte er, und Schuld sollte man nicht von Dummköpfen manipulieren lassen. Ein früherer Feldrichter bezahlte für zwölf Jahre Vergangenheit zweihundert Mark Strafe, den zeitgebundenen Gegenwert von zwei Päckchen Zigaretten, was Martin zu teuer oder zu billig erschien: Hatte der Dr. Schiele keine Schuld auf sich geladen, bedurfte es keiner Sühne; war er schuldig, hätte er sich nicht durch ein Trinkgeld loskaufen dürfen. Millionen standen bei der ›Entnazifizierung‹ Schlange: der Pauschalstempel der Spruchkammer wurde zum Gütezeichen einer gefährlichen wie lächerlichen Posse.
Die Begegnung mit den sturen Mühlen einer stumpfen Revolution auf dem Papierweg brachte Martin wider sich selbst auf; vielleicht hätte ich mich mehr um diese Dinge kümmern sollen, dachte er, als um Nylonfäden. Er sah voraus, wie sich die echten Schuldigen hinter den Mitläufern unter der Papierflut verbergen würden.
Von zornigen Gedanken ging Martin bald wieder zu lohnenden Geschäften über: die Übersiedlung nach Frankfurt mußte vorbereitet, die Genehmigung des Zuzugs besorgt, Baumaterial beschafft werden; er regelte alles im Ritt-Tempo.
Dr. Schiele, von keinem Berufsverbot mehr beengt, knüpfte an alte Fäden an. Er wollte sich erkenntlich zeigen, aber Martin bedeutete ihm, noch abzuwarten; er wußte, daß er bald einen weitherzigen Juristen benötigen würde.
Einige Tage später fuhr Martin nach München zurück. Zwischen Mannheim und Karlsruhe hörte er flotte Tanzmusik, die unvermittelt abbrach. Die Stimme des bewährten Sprechers wirkte erregt, als sie den Tag X ansagte –, und Martin, der dem Wagen, einem Veteran des Zweiten Weltkrieges, nichts schenkte, raste mit Vollgas in die Währungsreform.
Die Kunde vom ehrlosen Ableben der Reichsmark auf dem Totenbett der Inflation schoß am 20. Juni 1948 wie eine Sturzflut durch die drei westlichen Besatzungszonen: Der Staat genas am Bankrott – zum zweitenmal in einem Menschenleben –, und das neue Geld, das wie eine grausame Erlösung über Nacht gekommen war, ließ keinen Zweifel darüber, was es vermochte: es tötete den Schwarzmarkt, machte den Hunger zur Erinnerung und die Güterhortung zur Volkswirtschaft.
Martin fand die Regelung des Tages X genial, herzlos und notwendig. Die Währungsreform erfüllte eine Utopie, von der die Kommunisten träumten: eine Stunde lang waren alle Menschen gleich – danach freilich gab es wieder Millionäre und Bettler.
Er betrachtete die neuen
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