Die Wildkirsche. Erotischer Roman
Vater hingegen mochte ihn lieber schlicht. Sie überlegte, ob sie nachher noch einmal herkommen und den indischen Tee mitnehmen sollte, als sie ein leises Stöhnen aus dem Keller vernahm. Lorraine lief zu der Treppe und blickte ins Dunkel hinab. Sie hatte plötzlich ein starkes Déjà-vu-Gefühl.
»Monsieur Poméroy? Madame Poméroy? Ist jemand hier?«, rief sie in die Stille hinein. Eine lange Zeit antwortete niemand, dann hörte sie jemanden krächzen.
»Hier unten, Lorraine!«
»Monsieur Poméroy?«, fragte sie.
»Wer sonst, Lorraine. Komm zu mir. Nimm die Kerze aus dem Regal, damit du nicht die Stufen hinunterfällst.« Seine Stimme klang wie altes Reibeisen.
Vermutlich war er heiser. Lorraine zündete die Kerze an und stieg hinab. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus, weil sie von den Bildern der Vergangenheit gequält wurde. Noch einmal sah sie die obszöne Szene vor. sich: Isabelle auf dem Tisch, Etienne, der vor ihr hockte und ihre Scham leckte. Damals hatte sie der Anblick nicht nur erschreckt, sondern zu ihrer Schande auch erregt. Nun konnte sie nur noch Verachtung für das schamlose Treiben der beiden empfinden.
»Ich wollte Sie nicht stören, Monsieur. Papa schickt mich«, sagte sie und trat in das von Kerzen erhellte Labor. Sie sah sich um und stieß einen gellenden Schrei aus, als sie Madame und Monsieur Poméroy entdeckte, die beide geknebelt waren und Rücken an Rücken auf dem Boden saßen. Ihre Arme und Beine waren gefesselt. Aus panisch geweiteten Augen blickten sie Lorraine an, die sich vor Schreck nicht mehr rührte. Poméroy konnte nicht mit ihr gesprochen haben! Aber wer war es dann gewesen?
Lorraine spürte, dass sie nicht allein im Raum war, und wollte fliehen. Doch als sie sich umdrehte, trat eine verlauste Gestalt aus dem Schatten und stellte sich ihr in den Weg. Verstört wich sie einige Schritte zurück.
»Wer sind Sie?«
Der Fremde antwortete nicht und sah sie unverwandt an. Er hatte lange, verschmutzte Haare und einen ungepflegten Bart, der ihm bis zur Brust reichte.
»Sagen Sie doch etwas«, bat Lorraine voller Angst und legte die Hand auf ihren Busen, um ihr aufgeregtes Herz zu beruhigen.
Der Mann lachte abfällig. Dann breitete er plötzlich die Arme aus, als wollte er sie einer guten Freundin gleich an sich drücken.
»Lorraine, erkennst du mich nicht? Ich dachte, du magst ungepflegte Männer, die wie Tiere stinken?«
Diese Stimme. Es war dieselbe, die sie ins Labor gelockt hatte und die ihr nun, da sie nicht mehr verstellt war, vertraut erschien.
»Endlich bin ich zu Hause. Ich habe lange auf diesen Augenblick gewartet. Sehr lange.«
Lorraine erstarrte, als sie unter all den Falten und der verkrusteten Haut bekannte Züge erkannte. Züge, die ihr einst ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hatten, sie nun aber schaudern ließen.
»Etienne?« Konnte es wirklich ihr einstiger Liebhaber sein, der nun in Bettlerkluft vor ihr stand?
»Du bist ein kluges Mädchen.«
»Aber, ich dachte, du wärst im Gefängnis.« Sie machte einen Schritt zurück und prallte gegen den Tisch.
»Jetzt nicht mehr.«
»Hat man dich entlassen?«
Die Frage ließ er unbeantwortet. Stattdessen wandte er sich seinen Eltern zu, die verzweifelt an ihren Fesseln zerrten. »Ja, versucht nur die Stricke zu lösen. Ihr werdet es nicht schaffen! Kannst du dir das vorstellen, Lorraine? Diese Verräter wollten mich fortjagen! Mich, ihren eigenen Sohn. Was muss ich noch alles ertragen für ein Verbrechen, das ich nicht beging?« Seine Stimme überschlug sich vor Zorn und Verzweiflung.
»Du hast ein Geständnis abgelegt, sonst hätten sie dich nicht verurteilt.«
»Unter der Folter gestehst du alles, mein schönes Kind. Wenn sie dir das Fleisch von den Knochen peitschen oder deinen Kopf so lange in ein Wasserfass drücken, bis du glaubst, elendig zu ersaufen, sagst du ihnen, was sie hören wollen.«
»Hör auf mit diesen Geschichten, du machst mir Angst.«
»Oh ja, Angst hatte ich auch. Jeder konnte sie riechen, sie haftete an mir. Jeden Tag fürchtete ich, es wäre mein letzter. Allzu oft glaubte ich, die Ratten würden meinen geschundenen Leib über Nacht auffressen. Und doch gab es etwas, das mich am Leben hielt und alles ertragen ließ. Und weißt du auch, was das war, Lorraine?«
Sie schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln, als er ihre Hand nahm und sanft an seine eingefallene Wange legte.
»Der Gedanke an dich. Ich wusste, ich würde dich wiedersehen. Ich habe
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