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Die Winde von Darkover - 13

Die Winde von Darkover - 13

Titel: Die Winde von Darkover - 13 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Klettern.
Sie ging zum Rand des Balkons und beugte sich über das Geländer. Jetzt gab es nur noch kalte, realistische Überlegung. Mit Vorsicht und ein wenig Glück brauchte sie gar keine Schwingen. Sie konnte klettern. Es mußte möglich sein.
Ein kleiner Schwindel packte sie momentan, als sie an der rauhen Mauer nach unten blickte. Aber dann hatte sie ihre Entscheidung schon gefällt. Sie nahm die Pelzhandschuhe und steckte sie in die Taschen von Edrics Reithosen. Den Mantel schlug sie zurück und knöpfte ihn an der Taille fest. Zuletzt zog sie die Stiefel aus, band sie an den Senkeln zusammen und hängte sie um ihren Hals.
Dann schwang sie sich über das Geländer. Einen Augenblick hielt sie sich noch daran fest, um den Weg zu erkunden, den sie nehmen mußte - etwa dreißig Meter nach links und zwölf Meter nach unten. Dann tastete sie mit den Zehen von einem Mauervorsprung zum anderen, fand einen Halt für ihre Hände und preßte sich an den Stein.
Als Kind waren ihr die Mauerritzen und Mörtelstreifen breiter erschienen, und der Stein war jetzt eiskalt. Bald schmerzten ihr die Füße, und ihre Fingernägel brachen. Das Mondlicht war schwach und trügerisch, aber sie bewegte sich mit untrüglicher Sicherheit weiter. Einmal schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, daß der Posten sie ja sehen müsse, wenn er seine Runde machte, und dann war sie ein sicheres Ziel für seinen Pfeil. Einmal bewegte sich unten ein Licht, und sie hörte eine Stimme. Zum Glück sah der Posten nicht zu ihr hinauf, denn er war betrunken und taumelte lauthals singend weiter.
Ein andermal brach ein Kiesel unter ihren Fingern aus dem Mörtel. Das kleine Geräusch, mit dem er von Vorsprung zu Vorsprung fiel, bis er schließlich im Abgrund verschwand, kam ihr vor wie Kanonenschläge. Sie hielt eine ganze Weile den Atem an und schloß die Augen. Als sie sich wieder zu rühren wagte, war noch alles ruhig.
Die zwei Monde waren schon hinter einem Bergrücken verschwunden, und dünner Nebel stieg auf, der sich rasch verdichtete, als sie sich über das Geländer des Balkons an der Königssuite schwang, sich in dessen Schatten zusammenkauerte und tief atmete. Als sie sich wieder zu bewegen vermochte, schlüpfte sie in ihre Pelzstiefel, zog die Handschuhe an und kuschelte sich in die behagliche Wärme ihres Mantels.
Die erste Wegstrecke hatte sie hinter sich. Nun mußte sie zu Allira hineingelangen, ohne daß Brynat sie sah. Jetzt durfte nichts mehr schiefgehen, nachdem sie so weit gekommen war! Sie preßte ihr Gesicht an das bunte Glas der Balkondoppeltüren. Innen waren die Fenster verriegelt und mit dicken, gefütterten Vorhängen verhängt. Und plötzlich griff die Angst nach ihr, Brynat könne die Vorhänge zur Seite schieben, zum Fenster hinausschauen - und sie sehen. Sie wagte nicht, die Hand zu heben, um leise zu klopfen. Sie wußte, daß er hinter den Vorhängen stand. Angst, Nervosität und die Reaktion der Anstrengung und Gefahr schüttelten sie. Sie drückte sich in eine Ecke und wartete.
Storn, Bruder, hilf mir! Du kamst vorher zu mir, hilf mir auch jetzt! Ihr Götter der Berge, was soll ich tun“ Sie kauerte sich zusammen und blieb bewegungslos und frierend im Schatten. Stunden schienen zu vergehen. Endlich begann ihr Gehirn wieder zu arbeiten. Sie konnte denken.
Als wir Kinder waren, konnten Allira und ich uns wortlos verständigen. Nicht immer, aber wenn einem von uns Gefahr drohte. Als der Vogel sie angriff und schließlich seine ganze Sippe ihr den Rückweg abschnitt, da wußte ich es und konnte ihr zu Hilfe eilen. Sie war damals vierzehn und ich acht. Diese Kraft kann nicht verlorengehen, sonst hätte mich Storn nicht erreicht. Aber ich muß ruhig bleiben, sonst glaubt sie, ich sei nur ein Teil ihrer eigenen Angst.
Sie war ungeübt, aber Storn, der Blinde, kannte alle telepathischen Wege. Für seine Schwestern waren es Träume, Phantasien, Spiele und Tricks gewesen, denn sie verstanden sie nicht, und es bestand keine Notwendigkeit, diese telepathischen Wege zu gehen. Nein, darüber nachzudenken, hieß kostbare Zeit verlieren. Sie hob die Hand, um an das Fenster zu klopfen. Plötzlich sah sie deutlich Brynats Gesicht vor sich, und sie zuckte zurück und duckte sich wieder in den Schatten. Im nächsten Augenblick schob eine braune Hand den Vorhang zur Seite, und Brynats Narbengesicht erschien am Fenster und spähte in die Dunkelheit hinaus.
Eine endlose Minute verging. Dann wandte sich Brynat ab, und das Licht erlosch. Der dritte

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