Die Winde von Darkover - 13
ihren Mantel und drehte sich weg vom Feuer. Sie wußte, was er dachte und fühlte. Es tat ihr leid, doch Mitleid durfte sie ihm nicht zeigen. Und noch immer fürchtete sie sich ein wenig vor dem Fremden. Nicht sein leises nach ihr greifendes Begehren störte sie, denn damit wurde ein Mädchen aus den Bergen fertig. Es war der Gedanke, daß der Fremde gleichzeitig ihr Bruder und doch nicht ihr Bruder war, der ihre Gedanken und ihr Herz belastete. Er sah gut aus, war freundlich und sanft. Sie hätte sich nicht geweigert, seine Wünsche zu erfüllen, falls sie solche in ihm geweckt hatte. Das war Pflicht ihrer Kaste, und eine Weigerung wäre grausam, schlecht und billig gewesen. Diese Möglichkeit erschreckte ein Bergmädchen nicht. Wie mit einem Geist zusammenliegen, dachte sie, und damit hatte sie genau formuliert, was sie fühlte.
Trotzdem schlief sie gut und tief. Es war noch dunkel, als Storn sie weckte, um die Pferde zu satteln. Es schneite, als sie sich wieder auf den Weg machten, und erst nach mehr als einer Stunde ging der Schnee in Regen über. Melitta fröstelte, doch sie klagte nicht. Zwei Tage lang ritten sie auf immer steiler werdenden Pfaden durch die Berge. Abends waren sie so erschöpft, daß sie kaum ein paar Bissen hinunterwürgen konnten, dann rollten sie sich, schon im Halbschlaf, in ihre Decken. Ein paar Tage lang hatten sie das vage Gefühl gehabt, verfolgt zu werden. Das war wenigstens verschwunden, als sie am Morgen des dritten Tages in den Bergen aufwachten.
„Heute müßten wir zu den Aldarans kommen“, sagte Storn, als sie die Pferde sattelten. Bald hob sich der Nebel, und da sahen sie von einem Kamm aus die Burg, die sich fast unsichtbar zwischen die Wälder an den Hügeln schmiegte. Aber sie brauchten fast noch den ganzen Tag, bis sie den Berg erreichten, an dessen Flanke die Burg stand.
Zwei Männer in weiten Mänteln hielten sie auf der schönen, breiten Straße auf, die zur Burg führte, und fragten höflich nach dem Zweck ihres Besuches.
„Sage dem Lord von Aldaran“, antwortete Storn, und seine Stimme klang schwach vor Müdigkeit, „daß sein entfernter Verwandter Storn von den Hohen Winden Obdach und Rat sucht. Wir sind weit geritten und bitten im Namen der Verwandtschaft um Gastfreundschaft.“ „Wollt ihr im Torhaus warten, Lord und Damisela?“ fragte der Mann höflich. „Ich werde mich um eure Pferde kümmern. Lord Aldaran wird euch nicht lange warten lassen. Wenn ihr Nahrung braucht, dann steht sie euch zur Verfügung. Rastet einstweilen und macht es euch behaglich.“
Nach unglaublich kurzer Zeit kehrte der Mann zurück. „Lady Desideria bittet mich, euch zum Haupthaus zu führen, Lord und Lady. Wenn ihr ausgeruht und gegessen habt, will sie euch empfangen.“
„Ich habe keine Ahnung, wer die Lady Desideria ist“, flüsterte Storn Melitta zu, als sie den Stufenpfad hinaufkletterten. „Vielleicht ist es eine der Sohnesfrauen.“
Aber die junge Frau, die sie begrüßte, war kaum fünfzehn Jahre alt, rothaarig und von so wunderbarer Schönheit und würdevoller Haltung, daß Melitta sich ganz unbehaglich fühlte. „Ich bin Desideria Leynier“, sagte sie. „Meine Pflegeeltern sind nicht zu Hause. Sie kehren morgen zurück und werden euch dann gebührend willkommen heißen.“ Sie nahm Melittas Hände in die ihren und musterte ihr Gesicht. „Armes Kind, du scheinst todmüde zu sein, und auch du, Herr, solltest nicht stehen. Ich persönlich kenne die Storns nicht, wohl aber mein Haushalt. Ich heiße euch willkommen.“
Storn bedankte sich. Die Haltung dieses selbstbewußten Mädchens schien mehr als Haltung zu sein; eine Bewußtheit, eine innere Stärke und überentwickelte Sensitivität, die weit über das hinausreichte, was von einem so jungen Mädchen zu erwarten war. Melitta machte eine tiefe Verbeugung. „ Vai Leronis “, flüsterte sie und bediente sich damit des alten, ehrwürdigen Ausdruckes für eine Zauberin der alten Geschicklichkeiten.
Desideria lachte fröhlich. „Nein, das bin ich nicht! Ich weiß nur wenig von diesen alten Kenntnissen, aber wenn ich dich richtig zu lesen verstehe, dann sind sie dir, mein Kind, auch nicht fremd. Darüber können wir ein andermal sprechen. Ich wollte euch nur begrüßen.“ Sie rief einen Diener herbei, der sie führte, und sie selbst ging vor ihnen durch die lange Halle. Menschen liefen hin und her, und Storn holte tief Atem, als er einige sehr große, schlanke Menschen sah, die ihn fast gleichgültig
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