Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
Heilkunde. Yua lehnte sich zurück und blickte dem Großmeister erwartungsvoll entgegen.
»Nedrin. Gibt es etwas, das ich wissen sollte?« Er hoffte, dass sein Gegenüber seine Worte so verstand, wie sie gemeint waren: als höfliche Drohung, ihn in Frieden seine Arbeit machen zu lassen, falls ihn keine wichtige Angelegenheit zu seinem Vorgesetzten führte.
»Verzeih mir die Störung, Yua. Ich weiß, du hast viel zu tun.«
»In der Tat. Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du dein Anliegen auf den Punkt bringst. Ich habe noch einen Berg an Briefen zu beantworten.« Mit einem Anflug von Ärger bemerkte Yua, dass sein Herz schneller schlug. Deutlich spürte er in sich die aufkeimende Furcht vor dem, was der Hohepriester ihm sagen konnte. Er wollte nichts hören von dem Geschwätz über den Fünften Gott, ehe er nicht mit Mashdin darüber gesprochen hatte. Die Priester mochten sich in ihrem Fanatismus zusammenspinnen, was sie wollten, aber er wollte nicht davon behelligt werden. Im Moment hatte er größere Probleme als ein Wesen, von dem nur die Götter selbst wussten, ob es überhaupt existierte.
Yua bemerkte, dass Nedrin ihn musterte, und lächelte sein unverbindliches Lächeln. Er wollte auf keinen Fall, dass der Hohepriester wusste, was in ihm vorging.
»Ich wende mich an dich, weil mir zu Ohren gekommen ist, dass du Serrashil hast zu dir rufen lassen«, begann der Großmeister bedächtig.
Yua hatte alle Mühe, seine Augenbrauen daran zu hindern, nach oben zu wandern. Er bezweifelte nicht, dass sich seine Unterredung mit Serrashil vom Vortag bereits herumgesprochen hatte, aber es verwunderte ihn, was Nedrin daran interessierte. »Das ist wahr.«
Nedrin seufzte. »Ich bitte dich um einen ungewöhnlichen wie dringenden Gefallen, den ich nicht näher begründen kann. Bitte verrate mir, wohin du sie geschickt hast.«
Zuerst verschlug es ihm die Sprache, dann spürte Yua langsam die Angst in seinem Innersten aufkeimen. »Woher weißt du, über was ich mit ihr gesprochen habe?« Argwöhnisch musterte er den Großmeister. Der Streit vom Vorabend mit Seran kam ihm wieder in den Sinn und sein Herz drohte in der Brust zu zerspringen vor Furcht. Schmerzen hämmerten dumpf durch seinen Kopf und raubten ihm fast die Besinnung, zumindest aber alles klare Denkvermögen. Erschöpft stützte er seinen Kopf auf einen Arm und bemerkte dabei am Rande, dass er zitterte. Alles, was er immer schon gewollt hatte, war ein friedliches Jadestadt als Zentrum des Wissens. Die Stadt war das Herz und die Seele der gesamten Bekannten Welt. An diesem Ort sollte jeder willkommen sein und lernen dürfen, ganz gleich, welcher Rasse, welchem Volk oder welcher Konfession man angehörte. Mit diesem Streben schien er jedoch alleine zu sein. Das Windreich versuchte mit aller Kraft, sich Jadestadt einzuverleiben, um an die Macht des Wissens zu gelangen, die in den Archiven der Bibliothek gelagert war. Die Chayli wollten ihren Kolonien den Zugang zur Hohen Schule verwehren, damit diese nicht an Stärke gewannen und sich nicht länger ausbeuten ließen. Die Regenten Arkas und Ehiras lagen ihm seit Jahren in den Ohren, die Studenten des jeweils anderen Reiches nicht länger aufzunehmen, weil sie ach so böse waren. Die einzelnen Rassen der Menschen, Utera, Gnarle und all die anderen, von denen nur einige wenige an der Hohen Schule studierten, forderten auch immer wieder den Rausschmiss der jeweils anderen.
Sie alle hatten nur eines gemeinsam: Yua war ihnen in ihren Bestrebungen ein Dorn im Auge. Als Schulleiter der Hohen Schule und Oberhaupt Jadestadts verfügte er über große Macht, doch er konnte ihnen allen auf Dauer nichts entgegensetzen. Jadestadt verfügte über die stärksten Magier, die besten Krieger jeder Kampfrichtung, die klügsten Köpfe und schlausten Wissenschaftler, doch sie alle gehörten im Endeffekt einem anderen Staat an. Für wen sie sich wohl entscheiden würden, sollten sich ihre Heimatländer gegen den Stadtstaat wenden? Und warum machte es ihm alle Welt so verdammt schwer, Gleichberechtigung und Frieden aufrecht zu erhalten?
Die zwielichtigen Absichten seiner Großmeister gaben Yua den Rest. Über Seran wollte er sich gar nicht mehr den Kopf zerbrechen, solange dieser nichts anstellte und keine Gefahr darstellte. Nedrin mit seinem Geschwafel über den Verfluchten Fünften Gott drangsalierte den empfindlichen Faden, an dem der Friede in Jadestadt hing und was sich die anderen aussponnen, wussten nur die Hohen
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