Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
Serans grober Behandlung in ihr Nest zurückzogen. Es befand sich in dem großen Strauch, den sie die ganze Zeit über umflogen hatten. »Ich finde sie schön. Und ich finde es gut, dass Rinartin all die wundersamen Pflanzen aus dem Großen Wald mitbringt; so können sie auch von den Menschen gesehen werden, die nicht die Möglichkeit haben, dorthin zu reisen.«
»Hier?« Seran machte eine ausladende Bewegung und grinste breit. »Hier kommt abgesehen vom Schulleiter selbst normalerweise niemand herein. Er handelt aus reinem Egoismus.« Der Utera schwieg und warf einen letzten Blick auf die verschneiten Büsche und Bäume, die selbst unter dem Schnee teilweise seltsame Formen erahnen ließen. Dann wandte er sich der Hecke zu und strich schon fast liebevoll darüber. Der Busch erzitterte, ehe er sich aufwölbte und den Durchgang freigab. »Man könnte sagen, Yua habe sein Herz im Großen Wald verloren«, fügte er leiser hinzu, ehe er durch die Hecke trat.
Serrashil ging ebenfalls hindurch. »Was machen wir nun wegen Carath? Wir können ihm doch nicht einfach sich selbst überlassen!«
Seran schritt einfach weiter, ohne auf sie zu achten. Hinter ihnen schloss sich der Durchgang in der Hecke wieder. »Großmeister Seran!«
»Geh’ zu Bett. Er wird wieder auftauchen.«
Mit zusammengekniffenen Augenbrauen blickte sie ihm hinterher, ehe sie sich dem Weg zuwandte, der durch den Garten zu den Wohntürmen führte. Seran hatte recht, Carath konnte sich theoretisch überall aufhalten. Es wäre leichter, die Nadel in einem Heuhaufen zu finden als den Galdana in Jadestadt. Dennoch behagte ihr die Vorstellung, ihm einfach seinem Schicksal zu überlassen, ganz und gar nicht. Was, wenn er sich tatsächlich verlaufen hatte und nicht mehr zu ihnen zurückfand? Wenn er in Schwierigkeiten steckte und auf ihre Hilfe harrte?
Vor dem Eingang zu ihrem Wohnturm hielt Serrashil inne, die Hand schon auf der Türklinke. Sie würde auf Seran hören und sich nicht auf die Suche nach dem Galdana machen, noch nicht. Vielleicht kehrte er wirklich im Verlauf der Nacht zurück. Doch falls er es nicht tat, würde sie sich ungeachtet der Prüfung am nächsten Morgen auf den Weg machen, um ihn zu finden.
Sie waren fast schon so etwas wie Freunde und Freunde ließen sich nicht im Stich.
In dieser Nacht tat Serrashil kein Auge zu. Das Gespräch mit Rinartin spukte ihr durch den Kopf und Caraths Verschwinden machte ihr ebenfalls zu schaffen. Sie hatte gehofft, er wäre wieder in ihrem gemeinsamen Zimmer, aber sein Bett war leer gewesen, als sie den Raum betreten hatte. Nun wälzte sie sich unruhig hin und her und quälte sich mit der Frage, wo er wohl gerade stecken mochte. Der Streit zwischen dem Schulleiter und Seran ging Serrashil auch nicht aus dem Kopf. Sie hatte nicht gewusst, dass die beiden Männer nicht miteinander auskamen. Oder war es nur eine einmalige Auseinandersetzung gewesen? Grübelnd starrte sie an die Schrägwand über ihrem Bett. Was hatte Seran damit gemeint, den Menschen bekäme ein langes Leben nicht? Es war definitiv eine Anspielung auf Rinartin gewesen, doch warum sollte der Schulleiter ein langes Leben haben? Eines war sicher: Es hatte mit diesem Mashdin zu tun, wer auch immer das war. Bestimmt würden sich Antworten auf ihre Fragen finden lassen, wenn sie erst einmal bei ihm war. Falls sie es denn schaffte, Carath rechtzeitig zu finden.
Serrashil seufzte und drehte sich auf ihrem Bett herum. Hoffentlich war der Winterelf bis zum Tagesanbruch wieder da.
Serrashil erwachte am nächsten Morgen durch die Sonnenstrahlen, die auf ihr Bett fielen. Sie hatte letzte Nacht vergessen, die Vorhänge zuzuziehen. Stöhnend setzte sie sich auf. Ein dumpfer Schmerz pochte ihr durch den Kopf. Sie hatte gestern Nacht zu viel gegrübelt und zu wenig geschlafen.
Nachdem sie sich angezogen hatte, machte sich Serrashil auf den Weg in die Mensa. In der Esshalle befanden sich kaum Studenten. Der erste Schwung der Frühaufsteher war bereits fertig mit dem Frühstück und der zweite würde erst noch folgen. Serrashil holte sich etwas zu essen und setzte sich an ihren Stammplatz. Der Tisch war leer, weder von Delren noch von Kie war eine Spur zu sehen. Sie beendete ihr Frühstück und machte sich auf den Weg in den Magiertrakt, um Seran zu finden.
Die Suche stellte sich als schwieriger heraus als angenommen. Zum Einen kannte sie sich im Magiertrakt kein bisschen aus – es war ebenjener Flügel, in den Seran sie damals gebracht hatte,
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