Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
steckte.
»Was sagt dir dein Gefühl, Serrashil? Wohin ist Carath wohl gegangen?«
»In den Jadewald«, erwiderte sie ohne zu zögern. Eine Suche in der Stadt oder auf dem Schulgelände hatte sie nie ernsthaft in Betracht gezogen, auch wenn es möglich war, dass sich Carath dort befand. Doch es zog sie in den Wald, in dem sie ihn vor wenigen Tagen gefunden hatte. Sie wusste nicht, warum, aber sie glaubte, dass sie dort am ehesten Erfolg haben würde.
»Gut. Warte beim Schultor auf mich. Ich bin in wenigen Augenblicken dort.«
Unter dem erstaunten Blick seiner Schülerin wandte sich Randef um und verschwand in einem Nebenraum.
Serrashil erreichte das Tor tatsächlich erst kurz vor ihrem Großmeister. Er hatte sich einen Wintermantel über seine Kutte gezogen, außerdem trug er nun Stiefel und Handschuhe.
»Gehen wir«, war das Erste, was er zu ihr sagte, als er sie erreichte.
»Vielen Dank.« In diese beiden Worte legte Serrashil alle Dankbarkeit, die sie aufbringen konnte. Am liebsten würde sie Randef für das, was er für sie tat, um den Hals fallen. Zum ersten Mal seit dem gestrigen Abend hatte sie wieder Hoffnung. Mit der Hilfe ihres Lehrers und der anderen Studenten würde sie es sicherlich schaffen, Carath rechtzeitig zu finden. Und falls nicht, würde es auch nichts helfen, wenn sie auf die Reise zu Mashdin verzichtete. Dann war Carath nämlich bereits über alle Berge und es läge nicht mehr in ihrer Hand, ihn aufzuspüren.
Hinzu kam, dass es in der Nacht nicht geschneit hatte. Wenn Carath im Wald den Weg verlassen hatte, würden sie es gut erkennen können. Am Liebsten hätte sie aufgelacht vor Erleichterung.
An Randefs Seite folgte sie der Hauptstraße Jadestadts, die schnurstracks bis zu einem der vier Stadttore führte. Nach den letzten Siedlungen nahmen sie den Weg, der sie zu dem verschneiten Wald brachte. Der Jadewald war nicht klein, es führte jedoch ein gut erhaltener Weg hindurch.
Bislang waren sie schweigend nebeneinander hergegangen, doch als sie die ersten Bäume erreicht hatten, ergriff Randef das Wort: »Hat Schulleiter Rinartin mit dir gesprochen?«
»Ja.« Sie zögerte. »Es hat mich irritiert«, gestand sie schließlich. Sie wusste nicht, wie viel von ihrem gestrigen Gespräch mit Rinartin sie ihrem Großmeister anvertrauen durfte. Der Schulleiter hatte aus welchen Gründen auch immer verzweifelt gewirkt. Irgendetwas stimmte an der Hohen Schule nicht.
»Keine Sorge, er ist nicht ausschließlich um deine Prüfung besorgt.«
»Das hat er mir gesagt.«
Serrashil sah aus den Augenwinkeln, dass Randef ihr einen überraschten Seitenblick zuwarf. Eine Zeitlang stapften sie wortlos durch den Schnee, bis der Großmeister das Schweigen erneut brach.
»Ich hoffe, du behältst Verschwiegenheit, was die Angelegenheit betrifft. Ich habe dem Schulleiter versichert, dass du ein vertrauenswürdiger Mensch bist. Ich will mich nicht in dir getäuscht haben.«
»Selbstverständlich.« Serrashil blickte fragend zu ihrem Lehrer. Er wusste von der Sache? »Was … Was hat es mit diesem Mashdin auf sich?«, wagte sie vorsichtig zu fragen.
Randef ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Ich kenne ihn nicht persönlich«, begann er zögerlich. »Ich weiß jedoch, dass Schulleiter Rinartin ihm bedingungslos vertraut. Außerdem ist er ein angesehener Kampfkünstler. Nicht viele kennen ihn, aber diejenigen, die es tun, sprechen von ihm mit Respekt. Du wirst bei ihm in guten Händen sein.«
Sie nickte. Das war gut zu hören. Zumindest um ihre Prüfung musste sie sich wohl keine Sorgen mehr machen. »Wovor hat Schulleiter Rinartin Angst? Warum traut er niemandem mehr? Großmeister Seran sagte, der Schulleiter würde an jeder Ecke Verschwörungen riechen …«
Randef blieb abrupt stehen. »Wann hat Seran das gesagt?« Seine Stimme war scharf und dass er alle Förmlichkeiten fallen ließ, verhieß nichts Gutes. Serrashil wich unwillkürlich vor ihm zurück.
»Als ich mit Rinartin sprach, kam Seran herein, um uns über Caraths Verschwinden zu informieren und … die beiden schienen nicht gut aufeinander zu sprechen zu sein. Der Schulleiter hat ihn sogar hinausgeworfen, nachdem Seran etwas in einer anderen Sprache gesagt hat.«
Randef starrte sie für einige Sekunden mit zusammengekniffenen Augenbrauen an, dann setzte er sich wieder in Bewegung. »Kein Wort davon zu niemandem, Serrashil. Rinartin hat im Moment viel um die Ohren, aber es war leichtsinnig von ihm, sich gehen zu lassen.«
»Was hat das
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