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Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)

Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)

Titel: Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cairiel Ari
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verschränkt und die Augen geschlossen. Lediglich das Blut auf seiner Schulleiterrobe und die fleischige Wunde, zu der Serrashil nicht zu blicken wagte, deuteten darauf hin, dass Rinartin nicht friedlich schlief.
    Mashdin verharrte kurz, ehe er aus dem Graben kletterte. Als sie einen Blick auf sein Antlitz erhaschte, erstarrte Serrashil. Der Utera wirkte um Jahre gealtert, seine Haut war blass und die Wangen eingefallen, tiefe Ringe hatten sich unter seine Augen gebohrt und das Haar an seinen Schläfen war ergraut. Ihre Blicke trafen sich kurz, dann griff er unter seinen Mantel und holte eine Kette hervor, an der verdorrte Wurzeln hingen. Er riss sie auseinander und ließ die Wurzeln nacheinander in seine Hand gleiten, von wo er sie im Kreis um Rinartin verstreute. Übrig blieb ein faustgroßer Samen, den er über dem Herzen seines Vertrauten platzierte.
    Mashdin trat zurück und sprach Worte in der säuselnden Sprache der Utera. Er machte Bewegungen mit den Armen, als würde er etwas in die Luft malen, ehe er erneut die Hände hob. Mit angehaltenem Atem beobachtete Serrashil, wie sich seine Fingerknochen und Adern immer deutlicher unter der immer faltigeren Haut abzeichneten, wie sein Haar an Glanz verlor und Millimeter um Millimeter weiter ergraute.
    Getragen von geschmolzenem Schnee floss das Erdreich zurück an seinem Platz und begrub Rinartin unter sich. Doch selbst als der Grabhügel vollständig errichtet war, ließ Mashdin die Hände nicht sinken. Serrashil musterte ihn besorgt. Wenn er so weitermachte, würde er vor ihren Augen noch zu Staub zerfallen.
    Gerade, als sie mit dem Gedanken zu spielen begann, ihn aufzuhalten, bemerkte sie eine Bewegung am Boden. Ein Pflänzchen spross aus der kalten Erde und bahnte sich seinen Weg an die frische Luft. Es wuchs höher und höher und es kam Serrashil so vor, als würden die Jahre im Sekundentakt an ihnen vorüberfliegen und nur sie vom Alterungsprozess verschonen.
    Bald schon war aus dem Spross ein kleiner Baum geworden und aus dem kleinen Baum wurde ein großer. Er entfaltete seine Krone und breitete seine Äste wie ein schützendes Dach über ihnen aus. Sie sah den Schweiß auf Mashdins knochigem Antlitz glitzern, während aus den Zweigen Knospen trieben und Blätter sprossen. Der Winterwind rauschte hindurch und ließ das Blätterdach über ihnen wogen wie die Wellen der See.
    Schwer atmend taumelte Mashdin zurück. Blitzschnell packte Serrashil ihn, da seine Knie nachzugeben drohten. Sein Blick war unverwandt auf den Baum gerichtet, eine einzelne Träne entkam seinem Auge und rann über seine Wange.
    »Wunderschön, nicht wahr?«, flüsterte er mit heiserer Stimme.
    Schweigend standen sie unter dem Baum, Arm in Arm, und betrachteten sein sattgrünes Blätterdach. Es war Mashdin, der sich nach einiger Zeit von ihr löste und aus einer Innentasche seines Mantels einen Dolch hervorzog. Er führte ihn zu seiner Kehle und Serrashil war schon kurz davor, ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen, doch mit einem schnellen Schnitt durchtrennte er eine Strähne seines langen Haares. Mit den Haaren in seiner Hand trat er unter den Baum und band sie um einen Zweig. Mit flinken Fingern wob er sie darum, ehe er innehielt.
    Serrashil gab ihm die Zeit, die er brauchte, um sich von seinem Freund zu verabschieden, und wartete stumm. Es tat gut, hier draußen unter diesem Baum zu stehen, und über das Geschehene nachzudenken.
    Sie hatte ihre Prüfung nicht abgelegt und würde von der Schule fliegen, aber das war ihr egal. Delren war schwer verletzt und Mashdin hatte einen Menschen verloren, der ihm sehr wichtig war. Carath hatte ihn getötet. Yua Rinartin, den Herrn von Jadestadt. Hatte er deshalb solche Angst gehabt? Hatte er geahnt, was geschehen würde? Sie dachte daran, wie er um Caraths Aufnahme an die Hohe Schule gekämpft hatte und sich über die anderen Großmeister hinweggesetzt hatte. Nein, es konnte nicht sein. Er hatte in Carath keine Gefahr gesehen. Es musste etwas anderes gewesen sein und sie war sich sicher, dass es in dem Brief gestanden hatte, den sie Mashdin übergeben hatte. Serrashil wagte es jedoch nicht, ihn danach zu fragen, nicht jetzt, wo sie über dem frischen Grab seines Freundes standen.
    Und da war noch Caraths Erpresser … Ob Rinartin von ihm gewusst hatte?
    Mashdin wandte sich um und ging an ihr vorbei. Serrashil folgte ihm und sie kehrten zurück nach Jadestadt, wo das bunte Treiben des Jadefestes einer erdrückenden Stille gewichen war.

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