Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
auf ihren Tisch und streifte sich die Kleider vom Leib, um sich zu waschen und ihr Nachtgewand anzuziehen. Es kam ihr sehr gelegen, dass es noch zwei Tage bis zur Verhandlung waren. Sie musste zuvor unbedingt noch mit Randef sprechen und ihm genauestens schildern, was vorgefallen war. Aber zunächst brauchte sie ein Bett und eine ordentliche Mütze Schlaf.
Seufzend ließ sie sich aufs Bett fallen und kroch unter die Decke. Sie rechnete damit, lange nicht einschlafen zu können, doch die letzten Tage forderten ihren Tribut und entführten sie bald darauf in einen ruhigen Schlaf.
Als Serrashil das nächste Mal erwachte, war es in ihrem Zimmer bereits taghell. Gähnend rieb sie sich den Schlaf aus den Augen und ließ sich Zeit beim Aufstehen. Ein neuer Tag und ein alter Berg an Problemen, die es zu lösen galt. Sie verspürte keinen Hunger und das Frühstück würde sie sowieso schon verpasst haben. Falls es überhaupt etwas gegeben hatte … Serrashil konnte sich nicht vorstellen, dass die Hohe Schule so schnell zur Normalität zurückkehrte.
Sie zog sich an und warf ihre Reisekleidung in den Wäscheschacht, wo sie den ganzen Turm hinab in die Waschküche rutschen würde. Danach machte sie sich auf den Weg nach unten, wo sie Fandaril auf ihrem Platz hinter den Empfangstresen im Vorzimmer vorfand. Die mollige Hausverwalterin blickte auf, als Serrashil aus dem Treppenhaus trat. Sie hatte eine dampfende Tasse vor sich stehen und wirkte durch ihre Augenringe und das zerzauste Haar übernächtig.
»Serrashil!« Fandaril sprang auf und schloss sie in die Arme, ehe Serrashil wusste, was sie sagen sollte. »Wie geht es dir? Bist du verletzt? Oh Kind, was macht ihr für Sachen!«
»Mir geht es gut.« Serrashil löste sich sanft aus der Umarmung. Fandaril fühlte sich in ihrer Rolle als Hausverwalterin wie eine Art Ersatzmutter für alle Studenten des zweiten Grades, die in ihrem Wohnturm lebten. »Fandaril, was erzählt man sich über die gestrigen Geschehnisse?« Das Attentat war zwar erst wenige Stunden alt, aber natürlich würden sich die Leute bereits die Mäuler darüber zerreißen. Und da viele von ihnen den toten Rinartin auf Mashdins Armen gesehen hatten, würden bereits die wahnwitzigsten Gerüchte den Umlauf machen.
»Nicht viel. In der Nacht ließen die Wächter sämtliche Schänken schließen und haben dafür gesorgt, dass sich niemand mehr auf den Straßen aufhält. Heute Morgen haben die Großmeister an der Hohen Schule und auf dem Rednerplatz die Geschehnisse erklärt.«
Serrashil nickte. Zumindest sollten sich dadurch die Spekulationen in Grenzen halten. »Was haben sie erzählt?«
»Dass Rinartin tot sei. Möge Makraza seine Seele willkommen heißen. Unter welchen Umständen er gestorben ist, haben sie verschwiegen. Außerdem wird das Jadefest abgebrochen.« Fandaril verzog das Gesicht. »Ich wusste immer, wenn er so weitermacht, hat er das Amt des Schulleiters nicht lange. Für einen Regenten war er ein viel zu guter Mensch.«
Die Eingangstür schwang auf und drei Studentinnen kamen herein. Sie unterbrachen ihr Gespräch, als sie Serrashil sahen, senkten den Blick und huschten an ihr vorbei. Soviel zu keine Gerüchte. Aber Serrashil war froh, dass die Großmeister Carath verschwiegen hatten. Die Bewohner Jadestadts und die Gäste würden wohl kaum Galdana kennen und wenn sie die Winterelfen gleich mit dieser Schreckenstat verbanden, würden es die Bewohner der Eiswüste für die nächsten Generationen schwer haben, unter die Menschen zu kommen. »Offensichtlich bin auch ich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geraten«, stellte sie trocken fest.
»Die Leute haben gesehen, wie du gestern hinter dem Mann, der Rinartin trug, die Arena verlassen hast und ihm gefolgt bist.« Fandaril musterte sie fragend. »Was hatte das zu bedeuten?«
Serrashil schüttelte den Kopf. »Ich kann im Moment nicht darüber reden. Aber sag, hast du diesen Mann heute irgendwo gesehen? Ich muss mit ihm sprechen.«
Fandaril zog die Augenbrauen zusammen. »Nein, ich fürchte nicht. Wenn ich ihn sehe, werde ich ihm ausrichten, dass du ihn suchst.«
»Vielen Dank.« Serrashil verabschiedete sich von der Hausverwalterin und trat hinaus in die Kälte.
Die Hohe Schule hatte sich über Nacht verändert. Schwarze Tücher mit verschlungenen roten Mustern wehten von den Fenstern der Gebäude. Die Banner, die auf der Mauer und auf der Arena normalerweise das Wappen Jadestadts zeigten, waren ebenfalls durch schwarz-rote Flaggen
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