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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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vor wessen Haus er uns gesehen hatte. Freilich gehörte nicht viel dazu, auch ohne Hilfe auf unseren Gastgeber in Weimar zu kommen; immerhin war es Goethe gewesen, der mein Empfehlungsschreiben an Dalberg verfasst hatte.
    Goethe ging mit Dorothea zur Tür. »Meine Herren, folgen Sie mir bitte. Sie sollten dabei sein, wenn wir unsere Besucher empfangen. Und Sie, Prinzessin, bleiben am besten fürs Erste hier.«
    Jade nickte steif. Ihr war anzusehen, wie wenig es ihr behagte, allein zurückzubleiben. Trotzdem fügte sie sich – und bewies damit weit größeres Vertrauen in Goethe, als ich selbst für angemessen hielt.
    Dorothea war bereits vorgelaufen, um Dalberg und Stiller ins Haus zu bitten, und so stiegen der Dichter, Jakob und ich allein die Treppe hinab.
    »Was wollen Sie denen sagen?«, fragte ich angstvoll. »Der Prinz ist tot, Stanhope ebenfalls. Dalberg wird sich nicht mit läppischen Ausreden abspeisen lassen. Er wird wissen wollen, weshalb wir hier sind.«
    Goethe sah erst mich, dann Jakob durchdringend an. »Ganz gleich, was geschieht, Sie werden nichts sagen, bevor ich Sie anspreche. Ich kenne Dalberg seit langen Jahren, und ich weiß, wie man mit ihm umgehen muss. Also lassen Sie mich mit ihm reden. Ich verspreche Ihnen, er wird sehr schnell Ruhe geben.«
    Goethe empfing die beiden Männer in einem Zimmer, dessen Fenster auf den Frauenplan blickten. Die Wände waren blau gestrichen, weil Blau, wie er uns einmal erläutert hatte, ein Gefühl der Weite im Menschen weckt. Besucher, so glaubt er, würden dadurch fröhlich gestimmt.
    Ob dies jedoch auf Dalberg und Stiller zutraf, zog ich in Zweifel.
    Wir hörten sie schon von weitem kommen. Ihre Stiefel knallten über die Dielen, und bei jedem ihrer Schritte war mir, als setze mein Herzschlag aus. Ich wünschte mir, mich auf einen der Sessel fallen lassen zu können, aber das geziemte sich nicht.
    Die beiden Männer traten durch die Tür. Dorothea wollte sie hinter ihnen schließen, doch Goethe rief: »Bleib nur Dorothea, ich habe gleich eine Aufgabe für dich.«
    Er ging auf Dalberg zu, umarmte ihn herzlich und schüttelte Stiller die Hand. Dabei starrte der Rittmeister an Goethe vorbei auf Jakob und mich. Er sah aus, als hätte er den Dichter am liebsten beiseite gestoßen und sich auf uns gestürzt.
    »Verzeihen Sie, lieber Freund«, sagte Dalberg zu Goethe, »aber ich muss mich über Ihre beiden Besucher wundern.«
    Dabei war es doch eindeutig sein lieber Freund, über den er sich hätte wundern sollen! Nicht wir waren für den Tod des Prinzen verantwortlich. Nicht wir hatten Stanhope mit der Entführung des Kindes beauftragt. Die Wahrheit lag mir auf der Zunge, aber ich zügelte meine Wut und schwieg.
    Dalberg wandte sich an uns. »Sie waren mit einem Mal fort. Wir haben uns die allergrößten Sorgen um Sie gemacht.« Sein Unterton verriet, was ihm tatsächlich Sorgen bereitet hatte: dass nämlich Jakob und ich ihn endgültig verraten und an die Priester ausgeliefert hatten – denn nur so konnte er das plötzliche Auftauchen der Tätowierten nach unserem Verschwinden deuten. Mir an seiner Stelle wäre es nicht anders ergangen.
    Goethe ergriff das Wort, bevor einer von uns etwas erwidern konnte. »Ich durchschaue Sie, lieber Dalberg. Sie misstrauen meinen Gästen.«
    »Diese Männer haben uns an den Feind verraten!«, unterbrach Stiller ihn. Vor Wut überschlug sich seine Stimme, und sein ganzer Körper bebte. »Ich habe acht meiner besten Soldaten verloren. Es hätte nicht viel gefehlt, und auch der Minister und ich wären diesen Jesuiten zum Opfer gefallen. Der Entführer des Kindes ist uns außerdem entwischt. Und all das verdanken wir allein Ihren Gästen!« Er betonte das letzte Wort, als sei es die übelste Beleidigung.
    »Aber, aber, Herr Rittmeister«, entgegnete Goethe gelassen. »Sie tun unseren jungen Freunden unrecht.« Er wandte sich an die Dienstmagd und sagte fast beiläufig: »Dorothea, bitte, geh und weck meine Frau. Sag ihr, es sei an der Zeit. Dann weiß sie, was zu tun ist.«
    Stiller hatte keinen Sinn mehr für Höflichkeiten. »Was, zum Teufel, hat Ihre Frau damit zu tun?«
    Goethe lächelte höflich. »Bitte, lassen Sie uns erst einmal Platz nehmen. Alle!«, fügte er mit einem Blick in Jakobs und meine Richtung hinzu. Geschwind folgten wir seiner Weisung. Ich verstand nicht, was Goethe vorhatte. Ich war nicht in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.
    Nachdem wir widerwillig Platz genommen hatten, fuhr der Minister

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