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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erbärmlicher Hustenanfall. Sie lachte vergnügt. »Noch einmal«, rief sie aus. »Und nicht ganz so gierig.«
    Ich tat ihr den Gefallen, und diesmal drang der Rauch ganz sanft in meinen Körper. Die Wirkung aber blieb aus.
    »Und nun?«, fragte ich enttäuscht.
    »Nochmal, nochmal«, forderte sie ausgelassen. »Seien Sie nicht so ungeduldig.«
    So nahm ich ergeben einen dritten Zug aus der Pfeife, dann einen vierten, und beim fünften begann ich, Geschmack daran zu finden. Beim sechsten oder siebten verschleierten sich mir allmählich die Sinne.
    Jade, Kala und die ganze Halle verloren ihre fest umrissene Form, und alle weiteren Worte der Prinzessin verklangen wie hauchdünnes Zirpen in der Ferne. Die Flammenglut des Lagerfeuers schien plötzlich in mein Innerstes zu greifen, nicht schmerzhaft, doch ihr Lodern erfasste mich, und ich entbrannte in wilder Leidenschaft zum Leben, zum Fühlen, zu Jade.
    Du bist die Sünde, dachte ich, du bist die Sünde, liebe Schwester. Warum ich sie im Geiste Schwester nannte? Mir war mit einem Male, als verbinde uns viel mehr als das. Ob ich dachte oder sprach? Ich weiß es nicht.
    Du, süße Schwester, gezeugt in des Dschungels heißem Atem, herangetrieben, vom Glutwind des Südens, übermannst mich mit deiner Unbeschreiblichkeit, mit deinem makellosen Antlitz, hinter dem sich Rosenglück und schwarze Dammnis mischen. Gefährtin meiner traumschweren Stunden, fiebernder Wahn meines Wachseins, Schwester, sei willkommen, umarme mich mit deiner Wonne, und trinke du die meine! Fiebernd bin ich, rasend nach dir und deinen Gaben. Sterben lass ich die Vernunft. Zerbrich die Schranken, die Türen, die Ketten meines innersten Ich. Menge dein Gift in Bescheidenheit und Scheu, sprenge das Gefängnis meiner Scham und lass mich frei! Frei von allem, was war und was gewesen wäre. Lass mich erwachen aus der Treue ödem Traum, und gib mir, was dein ist und auch mein sein soll.
    Deine Haut lass mich schmecken, dein Haar mich liebkosen. Denn liebreizend bist du, Schwester, liebestoll in deinem Geben, jauchzend vor Gier im Nehmen. Dein Lächeln ist zaghaft und hungrig zugleich, leuchtend und lodernd der Glanz deiner Augen. Die Hülle gleitet dir von den Schultern, entblößt deinen herrlichen Leib. Lass mich dich fühlen, dunkle Schwester, lass mich teilhaben an dir und dem, was du bedeutest. Lass mich dir huldigen und schmeichle mir dafür. Nimm, was du erwecktest! Lass es wallen und fließen und bluten und leben, endlich, endlich leben.
    Labe dich an mir, holde Schwester.
    Liebe, grimme Schwester Sünde.
     
    * * *
     
    Als ich am Morgen erwachte, stand Jade am Haupttor und blickte durch einen schmalen Spalt ins Freie. Nichts trug sie am Leib als ihre Schönheit. Sie hatte mir den Rücken zugewandt. Das Feuer war fast heruntergebrannt, und ich fror erbärmlich. Kein Wunder, war ich doch genauso nackt wie die Prinzessin. Ich versuchte, mich zu erinnern, was geschehen war; das war freilich nicht schwer, und ich gestehe, dass ich es keinen Augenblick bereute. Erst recht nicht, als meine Blicke ihren Körper streiften, die schmalen Hüften und die zartbraune Haut, das schwarze Seidenhaar, das sich um ihre Schulterblätter teilte.
    Kala stöhnte leise. Ich sah, dass er sich regte, mit geschlossenen Augen, wie einer, den böse Träume plagen. Ich kroch zu ihm hinüber, schlug den Fellmantel zurück und betrachtete die beiden Stichwunden. Sie sahen noch genauso aus wie am Abend, nur das Blut war verkrustet. Was hatte ich auch erwartet? Dass sie durch Jades Magie verschwunden wären? Vielleicht. Aber Jade war keine Hexe, nicht wirklich.
    Sie hatte bemerkt, dass ich erwacht war, und drehte sich um, stand jetzt genau vor dem hellen Türspalt. Draußen ließ die Sonne den Schnee erstrahlen, und so war Jade kaum mehr als ein filigraner Umriss vor glitzerndem Weiß.
    »Guten Morgen«, sagte sie, und es klang keineswegs romantisch. »Ziehen Sie sich an, beeilen Sie sich.«
    »Bin ich jetzt wieder ein Gefangener?« Ich war ein wenig verstimmt, dass sie nach einer Nacht wie dieser so barsch zu mir war. Außerdem tat mein Kopf weh.
    »Sie sind ein freier Mann, Herr Grimm. Nach wie vor.«
    Sie bestand also immer noch auf Förmlichkeit. Nun gut, das konnte sie haben.
    »Ich hoffe, Euer Hochwohlgeboren haben eine geruhsame Nacht verbracht und angenehme Träume durchlebt.«
    Sie kicherte. »Ich habe von Ihnen geträumt, Herr Grimm.« Dann wurde sie schlagartig ernst: »Wir werden gleich Gäste haben. Wenn Sie ihnen

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