Die Winterprinzessin
nicht in dieser kompromittierenden Staffage gegenübertreten wollen, sollten Sie sich ankleiden.« Damit kam sie näher und raffte ihre eigenen Kleidungsstücke zusammen.
»Gäste?«, fragte ich erstaunt. Ich sprang auf und griff eilig nach meinen Hosen.
»Wie es scheint, konnte Ihr Bruder das Wiedersehen mit Ihnen nicht länger erwarten.«
»Oder mit Ihnen, Prinzessin.«
Ihr Nicken versetzte mir einen Stich. »Oder mit mir, in der Tat.«
Ich knöpfte mir das Hemd zu und trat an die Tür. Der freie Schneestreifen vor der Ruine war menschenleer.
»Wie kommen Sie darauf, dass jemand hierher unterwegs ist?«
»Ich spüre die Erschütterungen unter meinen Sohlen«, entgegnete sie ernsthaft.
Ich starrte verblüfft auf meine eigenen Füße, die natürlich nicht das Geringste verspürten. »Tatsächlich?«
Sie lachte wieder. »Nur ein Scherz, Herr Grimm, verzeihen Sie. Sie halten mich wirklich für eine Zauberin, nicht wahr?«
Pikiert rümpfte ich die Nase. »Natürlich nicht.«
Sie trat auf mich zu und zog sich dabei das Hemd über. In der Kälte zeichneten sich ihre Brustwarzen zart unter dem Stoff ab. Es fiel schwer, den Blick davon abzuwenden. Wilhelm, Wilhelm, ich erkenne dich nicht wieder!
Jade hauchte mir einen Kuss auf die Nasenspitze. »Hören Sie genau hin«, flüsterte sie und deutete nach draußen.
Verwirrt riss ich mich von ihrem Anblick los und steckte den Kopf durch den Türspalt. Horchte angestrengt hinaus in den Wintermorgen. Hörte nichts, nur das Kreischen ferner Krähen.
Ich sah sie an und schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid.«
Sie aber ließ nicht locker. »Versuchen Sie es noch einmal.«
Ich seufzte und tat, was sie verlangte. Wieder nichts, nur die Krähen. Und dann begriff ich. »Die Vögel! Sie meinen die Vögel?«
Jade nickte. »Irgendetwas scheucht sie aus den Bäumen. Ihr Krächzen wird immer lauter. Dass kann nur bedeuten, dass jemand näher kommt, Pferde, oder eine Kutsche.«
Sie sollte Recht behalten, wie immer. Wenig später schon rauschte ein Pferdeschlitten aus dem Wald. Ein Dutzend Schritte vor der Ruine brachte der Kutscher seine vier Rösser zum Halten. Ein breitkrempiger Schlapphut und dicke Schals schützten den Mann vor der Kälte, kaum lugte noch die Nase zwischen Stoffen und Schatten hervor. Auf den Seitentüren des Schlittens prangte das herzogliche Wappen.
Jade und ich, mittlerweile vollständig angekleidet, standen hinter der Tür und beobachteten die Ankunft des Gefährts. Ich wollte hinauslaufen und Jakob begrüßen, doch Jade, stets auf der Hut, hielt mich zurück. »Warten Sie«, zischte sie. Einen Moment lang wünschte ich, sie möge die Hand nie mehr von meiner Schulter nehmen. Doch der Augenblick verging, und ich konnte wieder einen klaren Gedanken fassen.
»Es ist ein Schlitten des Großherzogs«, sagte ich, um ihre Bedenken zu zerstreuen.
Jade blinzelte durch den Spalt nach draußen. Wir hatten das Tor so weit zugeschoben, dass es unmöglich war, von außen hineinzublicken. »Sie werden nicht erwarten, dass mich das freut.«
»Aber Jakob – «, wollte ich widersprechen, doch sie fuhr dazwischen:
»Falls es Ihr Bruder ist, fein. Falls nicht, sitzen wir in der Falle.«
»Aber nur Jakob weiß, dass wir hier sind.«
»Und Stanhope?«
»Wenn er wirklich ein Spion ist, wird er schwerlich Dalbergs Männer zu Hilfe rufen«, hielt ich dagegen.
»Man könnte uns beobachtet haben«, sagte sie beunruhigt. Ich hatte den Eindruck, dass sie selbst nicht recht wusste, wovor sie eigentlich Angst hatte.
Ich drängte mich an ihr vorbei. »Ich gehe hinaus.«
»Haben Sie den Verstand verloren?«, zischte sie böse.
»Ich habe das Versteckspiel satt.«
»Sie sind unvernünftig.«
»Niemals so sehr wie in der vergangenen Nacht.«
Sie funkelte mich an. »Heucheln Sie doch keine Reue.«
»Keine Reue, nicht die geringste.« Und mit diesen Worten küsste ich sie unvermittelt auf die Lippen und zog das Tor auf.
»Sie Idiot!«, schimpfte sie und sprang zurück in die Schatten.
Die Tür auf der abgewandten Seite des Schlittens öffnete sich. Von hier aus konnte ich nicht sehen, wer ausstieg, ich sah nur ein Paar schwarzer Stiefel, die sich in den Schnee gruben. Sie mochten Jakob oder auch jedem anderen gehören.
Im selben Moment wurde auch die zweite Tür aufgestoßen. Das deuchte mir wunderlich, denn Jakob wäre sicher allein gekommen. Zaghaft machte ich einen Schritt zurück, bis ich wieder unter dem Torbogen stand. Aber es war zu spät, der Kutscher und die
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