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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Jahrhunderten.«
    »Die Nationalität des Lords muss nichts bedeuten«, widersprach ich. »Dalberg zum Beispiel ist Deutscher und genießt trotzdem das Vertrauen Bonapartes.«
    »Wie Sie selbst.«
    Ich wusste, worauf sie anspielte, und sie hatte Recht. Beschämt erinnerte ich mich an den Einmarsch der französischen Truppen in meine Heimatstadt. Waren nicht neben meiner Krankheit auch die Okkupation und Napoleons Code civil Gründe gewesen, weshalb ich als Jurist keine Anstellung mehr fand?
    Jade bemerkte wohl, dass ich nichts darauf erwidern würde, und sah zu Kala hinüber. Äußerlich schien sein Zustand unverändert.
    »Dann glauben Sie, Stanhope diene der Regierung Englands?«, fragte ich.
    »Wem sonst?«
    Ich senkte die Stimme. »Haben Sie je vom Quinternio der Großen Fragen gehört?«
    »Was soll das sein?«
    »Sie wissen es nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
    Das enttäuschte mich. Aber konnte ich sicher sein, dass sie die Wahrheit sagte? »Mir kam ein Gerücht zu Ohren, Stanhope sei ein Agent des Quinternio.«
    Ihr Blick verriet nun offene Verwirrung. »Ich sage Ihnen doch, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
    Ich seufzte. »Wenn ich es selbst nur wüsste.«
    »Vielleicht war die Nacht ein wenig zu viel für Sie.«
    Prüfend blickte ich sie an. Ja, sie wollte mich necken. »Sie scheinen mir nicht allzu bekümmert über den Verlust Ihrer Männer«, sagte ich.
    »Sie waren Diener«, erwiderte sie gleichmütig, als sei das Erklärung genug.
    »Sie haben mir noch immer nicht verraten, um was es sich bei diesem Heiligtum eigentlich handelt.«
    »Sie würden mir ohnehin nicht glauben.«
    »Wenn selbst der große Napoleon so viel Vertrauen in eine Legende setzt, weshalb sollte nicht auch ich es tun?«
    »Die Amrita-Kumbha ist keine Legende.«
    »Natürlich nicht.«
    »Sie sind nicht bereit, die Wahrheit zu begreifen.«
    »Oh, nein, so einfach kommen Sie mir nicht davon.« Ich beugte mich vor und musterte über die Flammen hinweg eingehend ihre Züge. »Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren.«
    »Ein Recht?«, fragte sie betont. »Vielleicht haben unsere beiden Kulturen unterschiedliche Auffassungen von diesem Begriff.«
    Ich zwang mich zu einem freundlichen Lächeln. »Wir haben noch die ganze Nacht Zeit, und glauben Sie mir, ich werde keine Ruhe geben. Sie werden kein Auge zutun, ehe Sie mir nicht gesagt haben, was ich wissen will.«
    Ihre Antwort kam flink: »Ich nahm nicht an, dass wir beide das vorhätten – die Augen zutun.«
    Erneut schoss mir die Röte ins Gesicht. Jades Krieger waren erschlagen, ihr Mentor knapp dem Tode entronnen, und sie erging sich schon wieder in unzüchtigen Angeboten.
    Lächelnd fügte sie hinzu: »Ist die Wahrheit der Preis, den Sie für eine Nacht verlangen, Herr Grimm?«
    »Bleiben Sie bei der Sache.«
    »Aber das tue ich doch.«
    »Nicht bei der Sache.«
    Sie lachte glockenhell. »Werden wir jetzt vielleicht kindisch?«
    »Sie haben davon angefangen.«
    Was gab es da nur zu schmunzeln? Für sie war das alles nicht mehr als ein großes Spiel. »Ich mag Sie gern, Herr Grimm.«
    »Warum nennen Sie mich dann nicht Wilhelm?«
    »Ich glaube, soweit sind wir noch nicht.«
    »Nicht? Wie dumm von mir.«
    »Vergessen Sie nicht, ich bin eine Prinzessin.«
    »Aber natürlich.« Ich konnte ihre Gedankensprünge kaum nachvollziehen, deshalb beschloss ich, dem Gespräch eine neue Wendung zu geben.
    »Ist es wahr, dass es in Ihrer Heimat Kulte gibt, in denen Menschen die Liebe wie einen Gott verehren? Die körperliche Liebe?«
    Sie nickte, und der Schalk blitzte hell in ihren braunen Augen. »Aber natürlich.«
    »Das hätte ich mir denken sollen.«
    »Was ist denn so verkehrt daran?«
    »Oh, gar nichts.« Ich seufzte. »Aber Sie wollten mir gerade verraten, was es mit dieser Amrita auf sich hat.«
    »Amrita-Kumbha.« Sie buchstabierte beide Begriffe, was sie sichtlich amüsierte. »Sie wollen es also wirklich wissen.« Das war eine Feststellung, die keiner Bestätigung bedurfte. Schweigend erwartete ich, dass sie fortfuhr.
    »Sie werden mir nicht glauben«, warnte sie mich.
    »Ganz bestimmt nicht – aber hören möchte ich es trotzdem. Ich bin deshalb fast umgebracht worden, schon vergessen?«
    »Jemand wie Sie muss es für eine Legende halten.«
    »Herrgott, nun sagen Sie’s schon!«
    Das tat sie, und danach brachte ich eine Weile lang kein Wort mehr hervor. Schließlich aber begann ich zu lachen, erst leise, dann immer lauter, und später war mir, als hätte ich die halbe

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