Die Winterprinzessin
Nacht lang nichts anderes getan.
Sie hörte eine Weile zu, dann sagte sie: »Ich wusste, dass Sie mir nicht glauben würden.« Sie schien fast stolz darauf, dass sie Recht behalten hatte.
Allmählich kam ich zur Ruhe. »Aber ich bitte Sie, Prinzessin …«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich habe Sie gewarnt. Ihr Verhalten bestätigt nur meine Befürchtung. Ich sage Ihnen die Wahrheit, und Sie werden hysterisch.«
»Ist das wirklich Ihr Ernst? Unsterblichkeit! Ich meine – «
»Lassen Sie uns einfach vergessen, dass wir je darüber gesprochen haben.«
»Sie verstehen mich nicht«, sagte ich beharrlich. »Die Unsterblichkeit ist eine Illusion. Es gibt sie nicht.« Seit unserer beschämenden Suche nach dem Stein der Weisen wusste wohl kaum jemand dies besser als Jakob und ich.
»Natürlich nicht – nicht für Sie! Ich aber glaube daran. Zudem haben Sie wohl kaum das Recht, den Glauben eines anderen zu verlachen.«
»Warum haben Sie mir nicht früher davon erzählt? Von dieser … Amrita-Kumbha?«
»Es gab keine Gelegenheit.«
Ich lehnte mich zurück. »Hätten Sie es getan, wäre mir einiges erspart geblieben. Wahrscheinlich wäre ich schon mit meinem Bruder auf dem Heimweg nach Kassel.«
»Bedauern Sie, dass Sie das nicht sind?«, fragte sie mit einem entzückenden Augenaufschlag.
»Ja … nein. Ich meine … ich weiß es nicht.« Verflixt, Wilhelm! Hör dir nur dein Gestammel an!
Sie strahlte jetzt wieder diese absurde Mischung aus Verruchtheit und Unschuld aus. In ihrem Fall waren das nur scheinbar gegensätzliche Begriffe. Irgendwie gelang ihr das Kunststück, beides ohne Widerspruch zu vereinen. »Verunsichere ich Sie?«
»Das wissen Sie genau.«
Sie rückte ein Stück ums Feuer herum auf mich zu und nahm mit beiden Händen meine Rechte. »Habe ich Ihnen schon gesagt, dass ich aus Ihrer Hand die Zukunft lesen kann?«
»Bestimmt zaubern Sie auch weiße Kaninchen aus Zylinderhüten.«
Sie zuckte nur mit den Schultern. »Möchten Sie mehr über Ihre Zukunft erfahren, Herr Grimm?«
»Lieber nicht.«
»Seien Sie kein Feigling.«
»Sie werden mir Dinge sagen, die mich nur noch fester an Ihr Schicksal ketten.«
»Uh«, machte sie. »Wie haben Sie so was eben genannt? Porthos?«
»Pathos.«
Sie lachte wieder. »Keine Angst: Ich werde Sie an gar nichts ketten.«
Trotzdem entzog ich ihr meine Hand, obwohl es mir widerstrebte, die Berührung aufzugeben. Und sie hatte sogar Recht: Vielleicht war ich ein Feigling. Hoffentlich einer, der noch lange zu leben hatte. Ohne Abenteuer und Heldentaten.
Schmollend zog sie sich zurück. Die Ader an ihrem Hals pulsierte wieder. Im Lichtertanz der Flammen war sie noch deutlicher zu erkennen.
Jade kramte in ihrem Gepäck. Schließlich zog sie das kleine Holzkästchen hervor, das ich bereits kannte. Ihm entnahm sie ihre Pfeife, stopfte Tabak und ein paar Krümel einer dunklen Masse hinein und entzündete beides mit Feuerstein und Stahl. Paffend wie ein alter Mann saß sie da, im Schneidersitz, und beobachtete mich schweigend durch die gelblichen Schwaden.
»Wollen Sie mich betäuben?«, fragte ich und rang nach frischer Luft.
»Unsinn«, entgegnete sie zwischen zwei Zügen. »Wieso sollte ich das tun?«
»Sie haben es bereits damals in der Kutsche getan.«
Sie kicherte. »Oh, das! Das war keine Absicht. Wenn Sie sich einmal daran gewöhnt haben, werden Sie alles andere als schläfrig.«
»Vielleicht will ich mich gar nicht daran gewöhnen.«
»Aber probieren wollen Sie, oder?«
Sie sah mein Zögern und fügte hinzu: »Bevor es hell wird, können wir ohnehin nichts unternehmen. Kala muss ausruhen, ehe wir ihm eine Fahrt im Schlitten zumuten können. Außerdem müssen wir auf Ihren Bruder warten.«
»Wann wird er hier sein?«
»Abgemacht war morgen Nachmittag.«
Herrgott, so viele Stunden allein mit ihr! Mir war unklar, ob mich das freute oder ob es mir Sorgen bereitete.
Sie reichte mir die Pfeife. »Hier, versuchen Sie’s. Es schadet nicht, mein Ehrenwort.«
Mit bebenden Fingern nahm ich die Pfeife entgegen. Ihre Form fühlte sich gut an, ganz warm und sanft gerundet. Der Rauch schien bereits seine Wirkung zu tun, bevor ich überhaupt daran gezogen hatte.
»Es ist kein Opium, oder?«, fragte ich ein wenig ängstlich.
»Wo denken Sie hin! Wir müssen morgen einen klaren Kopf haben.«
Ich nahm einen vorsichtigen Zug, ohne Jade dabei aus den Augen zu lassen. Sie nickte mir aufmunternd zu und lächelte.
Meinem tapferen Versuch folgte ein
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