Die Winterprinzessin
uns mit blanken Säbeln entgegentraten. Einer besaß zudem eine Pistole, schien sie aber nicht benutzen zu wollen. Sie steckte in der breiten Schärpe, die er statt eines Gürtels trug. Vielleicht hatte der Tätowierte Befehl gegeben, uns – schale Hoffnung! – lebendig zu fangen.
Mit einem bestialischen Kreischen sprangen die Odiyan auf uns zu. Jade warf sich herum, stürmte zurück und stieß dabei gegen mich, auf dass ich fast den Fakir fallen ließ. Kala war ein Fliegengewicht, doch schien er mit jeder Minute schwerer zu werden. Schon schmerzten meine Arme unter seiner knöchernen Last, mein Atem raste vor Anstrengung.
Nun flohen wir in dieselbe Richtung, aus der wir eben erst gekommen waren. Wenn wir keine Abzweigung fanden, liefen wir unseren Verfolgern vom Haupttor direkt in die Arme. Jade schien den gleichen Gedanken zu haben, denn plötzlich blieb sie stehen, gab mir und Kala einen Stoß, der uns in eine Seitenkammer taumeln ließ, und stellte sich den vier Feinden entgegen. Der erste war schnell heran und versuchte sein Glück mit roher Gewalt. Wie eine Holzfälleraxt ließ er den Säbel beidhändig auf Jade niedersausen (was, nebenbei bemerkt, meine Hoffnung auf lebendiges Einfangen erheblich minderte). Dabei unterschätzte er die Behändigkeit der Prinzessin, die flink unter dem Schlag hinwegtauchte und selbst einen Säbelstreich gegen den Bauch des Gegners führte. Tief hieb sie ihm die Klinge ins Fleisch und brachte ihn mit Geschrei und Getöse zu Fall.
In dem engen Flur konnten die drei übrigen Odiyan nicht gleichzeitig angreifen; vielmehr waren sie gezwungen, sich der Prinzessin der Reihe nach zu stellen. Schon war der nächste heran und verwickelte Jade in einen klirrenden Schlagabtausch. Ich wandte meine fiebernden Blicke von dem ungleichen Kampf und sah mich gehetzt in der Kammer um. Mit wenigen Schritten war ich am Fenster. Von hier aus konnte ich ein halbes Dutzend weiterer Odiyan am Waldrand erkennen, zweifellos gehörten sie zu einem größeren Kreis, den die Priester rund um die Abtei gezogen hatten. Jeder Fluchtversuch schien sinnlos.
Kala keuchte in meinem Arm. Ich wünschte, ich hätte ihn absetzen können, doch das wütende Schmettern der Säbel auf dem Gang ließ mich den Gedanken verwerfen.
In der Seitenwand der Kammer befand sich eine niedrige Tür. Ich drückte die Klinke herunter. Verschlossen. So legte ich den besinnungslosen Fakir also doch noch am Boden ab und rüttelte mit beiden Händen am Türgriff. Die Klinke gab nach und brach samt ihrer Verankerung aus dem angekohlten Holz. Ich schleuderte sie beiseite, holte mit dem Fuß aus und trat mit aller Kraft gegen die Tür. Mein Bein brach durch das Holz – und blieb stecken. Es ließ sich weder vor noch zurück bewegen, ich saß fest.
Panisch schaute ich mich zum Eingang der Kammer um. Gerade sprang Jade rückwärts herein. Draußen hatten offenbar die Verfolger aus dem Erdgeschoss zu den drei anderen Odiyan aufgeschlossen. Die Prinzessin erwehrte sich nun einer vielfachen Übermacht. Tapfer parierte sie die Attacken der Gegner und verteidigte den Durchgang mit aller Kraft, schlug, stach und spießte. Die Klinge fand weitere Male ihr Ziel.
Noch einmal zog ich verzweifelt an meinem Bein, und diesmal gab die Umklammerung des Türholzes nach. Der morsche Durchgang zersplitterte, und ich machte mich sogleich daran, die Öffnung mit den Händen zu vergrößern. Splitter stachen in meine Haut, doch die Furcht vor den Vogelmännern minderte den Schmerz. Schließlich war der Durchbruch groß genug, um hindurchzuklettern. Ich schob erst Kala auf die andere Seite und folgte dann selbst, nicht ohne Jade mit einem Zuruf auf den Fluchtweg aufmerksam zu machen.
Auf der anderen Seite der Tür befand sich ein enger, runder Treppenschacht. Eine steinerne Wendeltreppe führte sowohl nach oben wie nach unten. Ich sprang drei, vier Stufen in die Tiefe und entdeckte dort eine mächtige Tür, die gleichfalls verriegelt und vom Feuer weitgehend unversehrt war. Blieb also nur die Flucht in die Höhe. Ich ahnte jetzt, wo wir uns befanden – nirgendwo anders als im Turm der Abteikirche.
Ich hob Kala von den Treppenstufen und warf einen Blick hinaus in die Kammer, wo Jade gerade einem weiteren Odiyan den Garaus machte. Auf dem Gang vor der Kammertür herrschte dichtes Gedränge und Geschrei, ein Gewimmel aus schwarzen Gestalten, grotesken Federmasken und funkelnden Klingen. Die Leichen der Gefallenen behinderten den Vorstoß der
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