Die wir am meisten lieben - Roman
sah Tommy in der Tür stehen und wollte etwas sagen, aber die Stimme versagte ihr, und dann versetzte Ray ihr einen Schlag in den Magen, und sie krümmte sich und sank auf die Knie.
»Ich sagte: Geh runter! Junge, hast du nicht verstanden?«, brüllte Ray, ohne ihn anzusehen. »Raus!«
Der Befehl kam so schneidend, dass Tommy beinahe gehorcht hätte. Er drehte sich um und machte Anstalten, die Treppe hinunterzugehen. Doch dann hielt er inne, und in diesem Moment äußerster Klarheit wusste er, was er zu tun hatte. Noch einmal wandte er sich um und lief durch das Zimmer zu Rays Nachttisch.
Ray glaubte, er sei hinuntergegangen, und packte Diane, um sie auf die Beine zu zerren.
So leise er konnte, zog Tommy die Schublade auf. Verdammt, die Waffe war nicht mehr da. Ray musste sie anderswo aufbewahren. Diane weinte und bettelte, aber Tommy verstand nicht, was sie sagte. In seinem Kopf pochte das Blut. Er zog die Schublade ein wenig weiter auf. Da war der Revolver, sein glänzender Lauf, ganz hinten.
Das Metall fühlte sich kalt an. Tommy versuchte, schnell und leise zugleich zu sein, das war nicht einfach, denn seine Hände zitterten. Er entsicherte den Revolver, hielt ihn mit beiden Händen und hob ihn auf Augenhöhe. Er zielte auf Rays Rücken.
Diane erblickte ihn zuerst. Ray würgte sie und drückte sie gegen die Wand. Ihre Augen waren angsterfüllt. Sie hörte auf, sich |347| zu wehren. Sie rührte sich nicht. Ohne sie loszulassen, drehte Ray sich langsam um und sah Tommy an.
»Lass sie los!«, sagte Tommy.
»Herrgott, Junge. Was zum Teufel machst du da? Leg das Ding weg!«
»Ich sagte: Lass sie los!«
Ray schüttelte den Kopf und lächelte, als sei es das Aberwitzigste, was er je gesehen hatte. Doch dann ließ er Diane los. Sie sackte zusammen, hustete und hielt sich den Hals.
»Tommy«, keuchte sie schließlich. »Sei nicht albern, leg die Waffe weg.«
Tommy schüttelte den Kopf. Er befahl Diane, von Ray wegzugehen, aber sie schien keine Kraft mehr zu haben.
»Du hast gehört, was deine Mutter gesagt hat: Leg die Waffe weg! Sei ein braver Junge!«, sagte Ray.
»Weg von ihr!«
»Es reicht jetzt, Junge. Komm, sonst verletzt sich noch jemand. Gib mir den Revolver!«
Ray machte einen Schritt auf ihn zu, doch Tommy rief, er solle stehenbleiben. Nur das Bett war noch zwischen ihnen.
»Mach den Safe auf!«, sagte Tommy.
Ray lachte. »Du hast zu viele Western gesehen, Junge. Wer zum Teufel bist du jetzt? Billy the Kid?«
»Tommy, bitte, leg die Waffe weg.«
»Nein, er wird den Safe öffnen. Los!«
Er zog den Hammer zurück. Aus seinen Western wusste er, dass das half, Aufmerksamkeit zu bekommen, und es half. Ray hob die Hände.
»Okay, okay.«
Ray drehte sich um, und einen Moment lang sah es wirklich so aus, als wollte er den Safe öffnen. Aber als er einen Schritt auf den Schank zu machte, sprang er plötzlich zur Seite und ergriff Diane. Tommy wusste, was nun folgen würde. Er hatte es |348| hundertmal im Fernsehen gesehen. Ray würde seine Mutter als Schutzschild benutzen. Oder vielleicht würde er ihr wieder weh tun. In dem Bruchteil einer Sekunde wusste Tommy, dass er keine Wahl hatte. Er drückte den Abzug und schoss.
Jemanden sterben zu sehen war nicht wie im Fernsehen. Die Kugel traf Ray unterhalb des Auges. Er schlug gegen die Wand und rutschte an ihr hinab. Kein Ausdruck der Qual oder des Schmerzes war in seinem Gesicht, nur Überraschung, als wundere er sich darüber, dass alles echt war und nicht irgendeine Szene aus
Sliprock
und niemand
Cut
rief.
Die Zeit schien still zu stehen. Zuerst war kein Blut zu sehen. Nur ein schwarz umrandetes Loch. Im Zimmer roch es nach Rauch, und in Tommys Ohren klingelte es. Diane war wie gelähmt. Sie starrte auf Ray hinab, während das Leben aus ihm wich.
»Tommy«, flüsterte sie. »Was hast du getan?«
»Er wollte –«
Dolores rief Rays Namen und fragte, was los sei. Sie klang entsetzt. Dann rief sie draußen nach Miguel.
Tommy hielt die Waffe noch in der Hand. Er konnte seine Augen nicht von Ray abwenden. Plötzlich war da Blut. Viel Blut. Es floss an Rays Gesicht und seinem Nacken entlang. Seine Hand zuckte und die Finger vollführten einen spinnenhaften Tanz auf dem Boden. Ray stöhnte ein letztes Mal. Dann lag er still.
»Tommy, schnell, gib mir den Revolver. Gib ihn mir!«
Diane riss die Waffe aus seiner Hand, und er warnte sie, vorsichtig zu sein, und zeigte ihr, wie man die Waffe sicherte. Sie griff nach der Tagesdecke und wischte den
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