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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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restaurieren. Mittlerweile gehört es selbst zur Fassade. Ich trete durch die einladenden roten Türen. Mit zitternder Hand glätte ich mein dunkles Haar und folge den anderen aus der warmen Junisonne in die kühle, muffige Kirche.
    Ich sehe Lottie und Marianne an passender Stelle in der ersten Reihe. Marianne weint, ihre zarten Schultern zittern unter heftigen, schweren Atemzügen, doch Lottie sitzt mit versteinerter Miene dort und schaut ins Leere, vom Kummer ihrer Tochter wie unberührt. Hat sie es überhaupt schon begriffen, oder glaubt sie noch, dass Ches zu Hause auf sie wartet, bei einem Toast und Tee?
    Ich entdecke einen blonden Haarschopf neben einem weißen Haupt. Das müssen Prissy und ihre Mutter sein. Clara hat mich vor drei Tagen schon angerufen und gebeten, mit ihrer Tochter zu sprechen, aber ich habe nichts unternommen. Ich habe mehrmals die Nummer gewählt und immer vor der letzten Zahl aufgelegt, mit trockenem Mund und Herzklopfen wie ein Teenager, der seine Angebetete um ein Date bitten will. Welche tröstlichen Worte soll ich denn sprechen? Die Zeit macht es bloß schlimmer, vor allem, wenn man die Wahrheit begreift. Was soll ich ihr sagen? Dass ein unerträglich langer Tag in den nächsten übergeht, bis man eines Tages nicht mal mehr aufstehen kann, weil einen nur noch Einsamkeit erwartet?
    Ich schaue noch einmal zu Lottie und dann wieder zu Prissy, und irgendetwas regt sich in mir. Vielleicht liegt es daran, dass ich in einer Kirche bin. Das Gefühl erfüllt mich ganz und gar. Vielleicht hat Clara recht. Vielleicht lautet meine Aufgabe, Menschen wie Prissy und Lottie zu helfen, aber was noch wichtiger ist, vielleicht ist es an ihnen, mir zu helfen. Ich bete zu Gott. Mein letztes Gebet liegt lange zurück. Damals habe ich Gott angefleht, mir Joseph wiederzubringen, aber da war es zu spät, solch ein Wunder zu erbitten. Ich hätte am Vorabend beten sollen, ich hätte jeden Abend dafür beten sollen, dass er Joseph beschützt. Ich hatte geglaubt, es gäbe nichts mehr zu erbitten, doch ich hatte unrecht. Ich senke den Kopf und bitte darum, dass wir von unserem Schmerz geheilt werden, Prissy und Quentin, Lottie und Marianne, und vor allem ich.

Kapitel 8
    Lottie
    Zwei Tage vor der Beerdigung kommt Prissy zu mir. Die Neuigkeit hat sich herumgesprochen, dabei stand die Todesanzeige noch gar nicht in der Zeitung. Dass Ches Selbstmord begangen hat, wird darin nicht erwähnt. Das Beerdigungsinstitut hatte mir zu der Formulierung »plötzlich verstorben« geraten, dies sei bei solchen Situationen angebrachter. Es ändert nichts, alle wissen längst, was Ches getan hat. Wenn es niemand mitbekommen soll, darf man sich nicht an der Eisbahn umbringen.
    Prissy klopft mit einer Schale unter Frischhaltefolie an. Ich bin versucht, mich wie Clara zu verhalten, das Essen anzunehmen und Prissy abzuweisen, doch ich bitte sie herein.
    »Es ist Lasagne«, sagt Prissy und stellt das Essen auf die Anrichte. Auf dem Kreppband steht »Mildred Peach«. Prissy hat also nicht für mich gekocht, sondern reicht bloß Reste weiter. Ich bin fassungslos, aber wahrscheinlich hat Clara ihrer Tochter die Schüssel in die Hand gedrückt. Sinnlos, was zu kochen, wo hier mehr als genug rumsteht. Hier, nimm die Lasagne. Die mag ich sowieso nicht . Und Prissy läuft wie ferngesteuert her. Sie hat immer getan, was ihre Mutter ihr sagte – abgesehen von ihrem Entschluss, nach Toronto zu gehen.
    »Soll ich’s dir warmmachen?«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Wie geht es dir?«, fragt Prissy. Sie zögert, mich zu umarmen, wir haben uns seit Jahren nicht gesehen und stehen uns ein wenig befremdet gegenüber.
    »Ich glaub, ich hab’s noch nicht richtig begriffen«, erwidere ich. »Und wie geht es dir?«
    »Ganz gut.« Sie sieht sich nervös im Haus um, späht auf alle Indizien, die einen plötzlichen und unerwarteten Tod erkennen lassen. Auf dem Beistelltisch liegt eine Packung Zigaretten, über der Sofalehne ein auf links gedrehtes Unterhemd und im Flur ein achtlos hingeworfenes Paar Schuhe. »Soll ich dir beim Aufräumen helfen?«, fragt sie, aber ich schüttle erneut den Kopf. Ich bin noch nicht bereit, Ches’ Sachen wegzupacken, weil ich noch nicht weiß, ob ich sie einlagern, der Heilsarmee geben oder sie wieder in den Schrank hängen soll.
    »Es tut mir so leid«, flüstert Prissy, und mir scheint, sie meint damit mehr als den Tod meines Mannes. Vielleicht tut es ihr leid, dass ich von Clara abgewimmelt wurde, dass wir uns aus den Augen

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