Die Witwen von Paradise Bay - Roman
Erleichterung meines Gewissens, weil ich mich ein klein wenig mitverantwortlich fühle. »Ich dachte, er hätte eine Affäre.«
Prissy wird schlagartig bleich, allerdings verstehe ich nicht, wieso sie meine Worte derart erschüttern.
»Ich dachte, er wollte an dem Tag zu ihr, und ich habe nicht versucht, ihn aufzuhalten, weil es mir egal war, falls er eine andere gevögelt hätte.«
Prissy beißt sich auf die Unterlippe, sie weiß nicht, was sie sagen soll, aber es berührt mich nicht. So wie ihr geht es allen.
»Ich hätte etwas ahnen müssen, denn Ches hat in letzter Zeit nur noch im Bett gelegen«, fahre ich fort. »Er hatte an nichts mehr Interesse, er wollte nicht einmal auf einen Drink in die Legion gehen oder sich ein Hockeyspiel anschauen. Ich wusste, dass es ihm nicht gut ging, und es war mir egal. Es ist mir auch jetzt noch egal. Ganz im Ernst, ich würde mich wahrscheinlich selbst heute nicht anders verhalten. Ich glaube, ich würde ihn wieder losziehen und sich umbringen lassen.« Stimmt das wirklich, oder bin ich bloß wütend und beschämt?
»Du hast jedes Recht, auf ihn wütend zu sein«, sagt Prissy heiser. »Es ist in Ordnung, dass du sauer bist.«
Wieso weiß sie so genau, was ich empfinde, selbst nach all den Jahren im fernen Toronto? Ich weiß nicht, was Ches durchgemacht hat. Ich weiß nicht, ob die Gerüchte wahr sind, und es spielt auch keine Rolle.
Ich denke an all das, was ich nun alleine bewältigen muss, und werde von neuer Wut erfasst. Wenn nun die Waschmaschine wieder streikt? Und Spinnen? Ches hat sie mit einem Knäuel Toilettenpapier aus der Badewanne geholt. Und er war auch immer zur Hand, wenn der Deckel auf einem Glas Marmelade zu fest saß. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn tun soll, und komme mir bei dem Gedanken selbstsüchtig und weinerlich vor. Mein Ehemann hat gerade Selbstmord begangen, und mich beschäftigt nur, welche Unannehmlichkeiten mir daraus erwachsen.
Ich habe kein Wort gesagt, aber Prissy sieht mich an, als könnte sie meine Gedanken lesen. Vielleicht liegt es daran, dass wir seit Kindertagen eng verbunden sind oder sie gerade denselben Verlust erlitten hat. Jedenfalls kniet sie sich so auf den Teppich, dass wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen.
»Ich fand es auch schön, wenn Howie mir geholfen hat«, flüstert Prissy. »Dafür musst du dich nicht schämen. Das ist menschlich.«
Bevor ich ins Bett gehe, schaue ich nach Marianne. Sie schläft, ihre Brust hebt und senkt sich gleichmäßig. Ich streiche ihr das Haar hinter die Ohren, so wie früher. Das alles war hart für Marianne, viel härter als für mich. Ich löse ein Fotoalbum aus ihren Händen und blättere darin herum. Marianne hat das Album vor vielen Jahren angelegt, bei einem Schulprojekt zum Thema Familie. Auf den ersten Bildern sieht man Marianne als winziges Baby, in meinen, in Ches’ Armen und denen meiner Eltern. Ich stoße auf ein Bild von Marianne mit ihrem einst so geliebten und nun vergessenen Barbie-Haus. Ches hatte an Weihnachten zwei Stunden lang daran herumgebaut. Ich stoße auf Bilder von Ches, am Strand, mit Marianne auf den Schultern, die zu müde war, den restlichen Weg selbst zu gehen. Einige Bilder zeigen auch mich, aber ich bin immer beschäftigt, ich hänge Wäsche auf, koche oder bügele.
Und dann gibt es da noch ein Bild, das zu groß für die Schutzhülle ist. Ches und ich an unserem Hochzeitstag. Wir stehen auf den Stufen vor St. Augustine, kurz nach dem Gottesdienst. Mein braunes Haar schimmert in der Sonne leicht rötlich und ist zu sanften Locken frisiert, die auf den Schultern aufliegen. Ich bin beinahe im fünften Monat, aber das Kleid kaschiert es gut. Ches ist frisch rasiert, hat das Haar ordentlich auf die Seite gekämmt und trägt einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schmaler schwarzer Krawatte. Er hat den Arm besitzanzeigend um meine Schultern gelegt und flüstert mir, meinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, etwas Amüsantes zu. Ich weiß nicht, ob ich die beiden auf dem Foto beneiden oder für das, was kommen würde, bemitleiden soll.
Kapitel 9
Prissy
»Ich sterbe bald.«
Diese Bemerkung lässt meine Mutter beim Abendessen so beiläufig fallen, wie man verkündet, dass man müde oder hungrig sei oder kurz ins Bad müsse. Mehr sagt sie dazu nicht, macht ihre Zigarette aus und kümmert sich dann um den Abwasch.
Ich sehe Charlie mit gerunzelter Stirn an und hoffe in meiner Verwirrung, dass er mich aufklären kann, aber er schaut
Weitere Kostenlose Bücher