Die Witwen von Paradise Bay - Roman
Erst da habe ich geschrien, geweint und getobt, habe ich Schüsseln an die Wand geschleudert, damit nicht nur mein Herz brach.
Ich weiß nicht, warum mich St. Augustine immer nur an diesen Tag erinnert, wo ich mit diesem Ort doch auch so glückliche Erinnerungen verbinde wie etwa meine Hochzeit. Warum kann ich beim Anblick der Kirche nicht einen gut aussehenden Joseph vor mir sehen, der in seinem schwarzen Anzug und mit einem breiten Lächeln am Altar auf mich wartet? Warum sehe ich nicht mich in meinem schlichten weißen Seidenkleid, das Haar in schwarzen Wellen ums Gesicht gelegt, in dem Gefühl, das sei alles zu schön, um wahr zu sein? Mir kommen auch nicht all die Weihnachtsmessen in den Sinn, bei denen Joseph und ich uns ein Gesangbuch geteilt und gemeinsam Weihnachtslieder gesungen haben, bevor wir nach Hause zu unserer Bescherung gegangen sind. All diese Bilder wirken wie aus einem Traum, doch die Beerdigung steht mir gegen alle Gesetze der Zeit ganz lebhaft vor Augen. Nichts ist verblasst.
Ich schwelge, oder vielleicht quäle ich mich auch nur, in Erinnerungen an den Tag unseres Kennenlernens. Ich schließe die Augen, und da stehe ich wieder, auf der Route 80, vollkommen orientierungslos und verzweifelt auf Rettung hoffend.
Zehn Jahre zuvor: Ich bin auf dem Weg nach Heart’s Content, um den berühmten Leuchtturm für den Kalender einer Bank zu fotografieren. Es ist mein erster freier Auftrag, bei dem ich keine Firmenangestellten porträtieren oder Honoratioren beim gestellten Händeschütteln oder Durchschneiden eines roten Bands fotografieren muss, und vor lauter Vorfreude schenke ich der Warnung vor einem Schneesturm keine Beachtung. Ich gehe davon aus, dass ich vor dem Unwetter fertig werde, aber der Sturm kommt unerwartet schnell näher. Als mir bewusst wird, dass ich das Ende des Sturms lieber abwarten sollte, kann ich schon nirgendwo mehr halten. Es wird dunkel, in dem Schneetreiben verschwimmt die Straße, und die Zivilisation hat auch vor zehn Kilometern aufgehört. Ich könnte rechts ranfahren, aber das scheint mir bedrohlicher, als mich weiter vorzukämpfen, obwohl ich keine Ahnung habe, wohin ich fahre.
Ich frage mich gerade, ob ich überhaupt noch auf der Route 80 bin, da fährt das Auto in eine Schneebank. Ich kämpfe gegen die aufsteigende Panik an, atme tief ein und aus und beschwöre mich, ruhig zu bleiben. Die Räder drehen hoffnungslos durch, im Vorwärts- wie im Rückwärtsgang. Ich steige aus und versuche, die Reifen freizuschaufeln, bis meine Finger taub sind, aber ohne Erfolg. Erschöpft, einem Heulkrampf nahe, steige ich wieder ins Auto. Ich fühle mich wie der letzte Mensch auf Erden. Ich erwarte, lebendig, bei versperrter Autotür, unter Schneemassen begraben zu werden, und bemühe mich entschieden, langsamer zu atmen und Sauerstoff zu sparen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort gesessen habe, bis ich plötzlich die Lichter des Schneepflugs sehe. Ich springe vor das riesige gelbe Monster, das vor mir abrupt zum Stehen kommt.
»Was zur Hölle tun Sie hier draußen, Missus?«, ruft Joseph über Windgeheul und Schneegestöber hinweg. »Haben Sie nicht mitgekriegt, dass uns ein Nor’easter plattmacht?«
Die Frage ist ziemlich blöd, denn offensichtlich stecke ich mitten im Schneesturm fest. Ich spiele mit dem Gedanken, eine sarkastische Antwort zu geben, aber ich bin so erschöpft, durchgefroren und vor allem erleichtert, dass die Dankbarkeit siegt.
»Ich stecke fest, mich muss jemand mitnehmen«, sage ich, und schon hievt er mich mit Leichtigkeit hinauf in die Fahrerkabine des Schneepflugs, als würde er regelmäßig gestrandete Frauen am Highway auflesen. Nach einem Kilometer Fahrt merke ich, dass ich ihm weder ein Ziel genannt habe, noch er danach gefragt hat.
»Ich habe ein Zimmer in einem Motel in Heart’s Content reserviert«, sage ich, nur fällt mir der Name nicht ein, und die Unterlagen liegen im Handschuhfach. Aber viele Motels kann es in dieser Gegend nicht geben.
Er kichert amüsiert. »Dann haben Sie sich ziemlich verfahren«, sagt er. »Die Ausfahrt nach Heart’s Content war vor sechs Kilometern. Willkommen in Paradise Bay.«
»Könnten Sie mich hinbringen?«
»Sieht das hier wie ein Taxi aus?«
»Hören Sie, ich bezahle Sie dafür«, flehe ich.
»Sparen Sie sich Geld und Atem, Missus«, sagt er. »Das liegt nicht auf meiner Strecke. Wenn ich den Umweg mache, hab ich die Gewerkschaft am Hals.«
»Was soll ich denn tun?« Allmählich fürchte ich, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher